Die Eintagsfliege
An manch einem warmen
Sommertag hatte die Eintagsfliege um die Krone eines alten Baumes getanzt,
gelebt, geschwebt und sich glücklich gefühlt und wenn das kleine Geschöpf einen
Augenblick in stiller Glückseligkeit auf den großen, frischen Blättern
ausruhte, so sagte der Baum immer: „Arme Kleine! Nur ein Tag währt dein ganzes
Leben! Wie kurz das ist! Wie traurig!“
„Traurig?“ erwiderte dann
stets die Eintagsfliege, „was meinst du damit? Alles ist so herrlich licht, so
warm und schön, und ich selbst bin glücklich!“
„Aber nur einen Tag, und
dann ist alles vorbei!“
„ Vorbei?“ sagte die
Eintagsfliege, „Was ist vorbei? Bist du auch vorbei?“
„ Nein, ich lebe
vielleicht Tausende von deinen Tagen, und meine Tage sind ganze Jahreszeiten!
Das ist etwas so Langes, dass du es gar nicht ausrechnen kannst!“
„Nein, denn ich verstehe
dich nicht! Du bist Tausende von meinen Tagen, aber ich habe Tausende von
Augenblicken, in denen ich froh und glücklich sein kann! Hört denn alle
Herrlichkeit dieser Welt auf, wenn du einmal stirbst?“
„Nein“, sagte der Baum,
“die währt gewiss länger, unendlich viel länger, als ich denken kann!“
„Aber dann haben wir ja
gleich viel, nur dass wir verschieden rechnen!“
Hans
Christina Andersen