Tips und Tricks (6a)



Thema : Berg- und Treckingschuhe



,... konnte die Bergwacht das Unfallopfer am nächsten Tag aus schwierigem Gelände bergen. Die Unfallursache war vermutlich Ausgleiten durch unzureichendes Schuhwerk." So oder so ähnlich lauten die Meldungen, die meistens am Wochenanfang in den Zeitungen zu lesen sind.



Die Unfallorte sind nicht die schweren Wände und Kletterrouten, sondern banale Wanderwege im Gebirge, Normalwege, Grashänge, Schrofengelände, Geröllrinnen, sommerliche Schneefelder.



Das - durch Tau oder Regen bedingt - nasse Steiglein von Hütte zu Hütte fordert unbedingt eine griffige, schmutzabweisende Profilsohle, der steile grasdurchsetzte Abstieg von der Scharte ist mit einem-weichen"Bequemschuh" ein riskantes Unterfangen, und die Querung jener hartschneegefüllten Rinne auf ausgeschmolzenen Trittspuren mit einem sogenannten "Trekkingschuh" (Marke Irgendwer-Eigenbau) ohne Torsionsfestigkeit eine Sache für Selbstmordkandidaten.



Heute nennt sich nahezu jede Art von Bergstiefel Trekkingschuh", selbst der größte und billigste Mist wird unter dieser Bezeichnung nicht nur von Großmärkten, sondern auch schon im Sporthandel angeboten. Für Bergwanderer und Bergsteiger, die einen sicheren Schuh wirklich "brauchen", kann die Bezeichnung "Trekkingschuh" allein heute kein Kaufkriterium mehr sein.



Ich unterscheide von der Anwendung her folgende Kategorien von Bergschuhen:



Bergschuhe für extreme alpine Anwendungen: Expeditionsschuhe für hohe Berge, Schuhe für Eisfallklettern, Reibungskletterschuhe



steigeisenfeste Bergschuhe: zwiegenähte klassische Bergstiefel, Kunststoffschalen; charakteristisch ist die relativ steife Sohle, ein höherer Schaft und ein höheres Gewicht. Gedacht für hochalpine Unternehmungen, Westalpentouren, Gletschertouren, im Winter.



Leicht-Bergschuhe, sogenannte "Trekkingschuhe": bedingt steigeisenfest, leichtgewichtig, gut abrollbare Sohlenkonstruktion, trotzdem hohe Stabilität für alpine Gipfelbesteigungen, Durchquerungen und Klettersteige.



leichte Wanderschuhe für sogenanntes "Street-Walking", also für ebene Wege, Mittelgebirge, City, Biergarten usw. Kennzeichen: profilierte Sohle, mehr oder weniger ausgeprägter Knöchelschutz, weicher Aufbau, bequem zu tragen wie ein Hausschuh.



Wie soll nun ein Trekkingschuh für den Bergwanderer und Bergsteiger beschaffen sein?



Es gilt das unbedingte Kriterium der Alpintauglichkeit (siehe Einleitung)!



Die Hauptforderung für einen alpintauglichen Trekkingschuh ist die Torsionsfestigkeit, d. h. der Schuh muß verwindungsstelf sein (wie beim Ski), er darf sich also nicht um die eigene Achse biegen. Die Schuhkante findet dadurch Halt im Grashang und erdigen Gelände, man steht gut im Geröll und kann sich im harten Firnhang einen Tritt schaffen. Die verwindungsfeste Sohle übernimmt die Haltekräfte, die bei einem weichen Bequem-Schuh das Fußgewölbe und die Zehen zu bewältigen haben. Man läuft um Klassen kraftsparender, was sich natürlich auf langen Touren enorm auswirkt. Nach vorne hin soll die Sohle flexibel sein, also abrollen können.



Alpintaugliche Leichtbergschuhe gibt es - je nach Anforderung in leichterer Ausführung für den Gebrauch in weniger schwierigem Gelände und in verstärkter, etwas steiferer Ausführung für die Anwendung in alpineren Bereichen, wie harte Schneefelder und Klettersteige. Betrachten wir die Eigenschaften der Einzelteile, aus denen sich ein guter Bergschuh zusammensetzt:







Der Schaft muß aus hochwertigem, vollnarbigem Rindsleder bestehen, je weniger Nähte, um so besser (leider auch teurer). Zusammengesetzte Schäfte aus Teilen mit Cordura, Nylon und ähnlichem ("Fleckerlteppichschuhe") sind wesentlich billiger, wesentlich weniger stabil und im richtigen Gebirge eigentlich unbrauchbar.



Renommierte heimische Bergschuhhersteller berücksichtigen durch asymmetrische Ausarbeitung des Schaftes die besondere anatomische Fuß-Knöchel-Beinstellung.



Wichtig ist eine stabile Fersenkappe, die in ruppigem Gelände (Geröll) nicht nur für Stabilität, sondern auch für eine lange Lebensdauer zeichnet. Eingearbeitete Seitenverstärkungen tragen ebenso zu einer guten Führung bei. Gegen vorzeitigen Verschleiß sorgt - bei schwereren Modellen ein umlaufender Gumm4gürtel sowie eine Gummi-Vorderkappe.



Fersenfixierung: Blasen bilden sich, wenn die Ferse einen Schlupf hat, also nicht fest sitzt und sich im Schuh bewegen kann. Dem beugt eine Fersenfixierung vor: Beidseitige Klemmhaken im Ristbereich sind die Mindestforderung, wobei die Haken an der Innenseite so angebracht sein müssen, daß ein Verhaken der Schuhe miteinander ausgeschlossen ist! Ich habe durch eben dieses Verhaken einen Absturz hinter mir, der glücklicherweise einen "Auslauf" hatte. Es gibt bereits hochentwickelte Fersenfixiertfngen wie z. B. das patentierte Variofix von Meindl, das den Fersenschluß verformen kann und nahezu für alle schwierigen Füße geeignet ist.



Die Zunge sollte gut gepolstert sein, um eine gute Druckverteilung nach vorne zu haben. Wichtig: Die Lasche muß fixiert werden können, um ein Verrutschen zu vermeiden.



Innenfutter: Der Bergsteiger kann unter zwei Varianten wählen, den Schuh mit Goretex-Ausstattung oder Lederfutter. Ich empfehle uneingeschränkt die Goretex-Version, allerdings nur von Herstellern, welche die komplizierte Verarbeitungstechnik im Schuh beherrschen. Bergschuhe mit Goretex sind wasserdicht! Sie sind leichter und trocknen vor allem innen sehr rasch. Das ist wichtig, wenn man über einen längeren Zeitraum unterwegs ist. Schuhe mit Lederfutter speichern die Feuchtigkeit und sind über Nacht kaum trockenzukriegen.



Da sich an der Fußsohle die meisten Schweißdrüsen befinden, sollten die anatomisch geformten Einlagen so konstruiert sein, daß darunterliegende Luftpolster den Dampf aufnehmen und über seitliche Entlüftungswege wieder abgeben können.



Speziell bei Goretex-Schuhen müssen das geeignete Zwischenfutter, Klebestellen und Stabilisatoren, geeignete Spezialschäume sowie das Fußbett peinlich aufeinander abgestimmt sein, um die Funktion zu gewährleisten. Das braucht lange Erfahrung in der Bergschuh-Herstellung und ist erfahrungsgemäß von Fe rnost-Herstellern nur selten realisierbar.



Die Bergschuh-Sohle besteht aus einer individuellen Gummimischung, deren Abriebfestigkeit (,Shorhärte') verantwortlich für die Haftfähigkeit ist. Weicher Gummi haftet besser und ver schleißt schneller - harte Gummischien leben länger, sind jedoch rutschiger. Wenn's kalt wird, wird Gummi härter. Die richtige Sohlenmischung gibt es bei renommierten "alten` Schuh-Herstellern. Dazu ist das richtige Sohlenprofil von größter Bedeutung: selbstreinigend, griffig und die richtige Härteverteilung nach anatomischen Abrollwerten. Nur einige Profilstollen farbig zu machen das bringt nichts! Gute Sohlen entstehen nicht von heute auf morgen, sondern entwickeln sich nur aus langjähriger Erfahrung. Am besten ist es natürlich, wenn der Hersteller persönlich noch dorthin kommt, wo es drauf ankommt!



Dann wäre da noch der Absatz: Vom absatzlosen Bergschuh ist klar abzuraten, ein normaler Absatz ist gut, der Krallenabsatz ist weil sicherer - am besten.



Die Dämpfung schont die Gelenke und das Kreuz, insbesondere beim Bergabgehen. Aber nur dann, wenn sie exakt auf den Schuh abgestimmt ist. Ist sie zu weich, "schwimmt" man oder bekommt Probleme mit den Steigeisen. Am bewährtesten ist spezieller Polyuretan-Schaum oder geschäumter Gummi.



Das Leder: Am besten, d. h. zweckmäßigsten, ist hydrophobiertes Oberleder, mit einer Spezialbehandlung wasserfest gemachtes Leder. Zur Gerbung von Leder wird als Konservierungsmittel der Giftstoff PCP verwendet. Nach EU Richtlinien sind für Import-Schuhe und -Leder bis 1 000 mg/kg Giftbelastung gestattet! Doch gibt es deutsche Schuhhersteller, in deren Produkten das giftige PCP nur noch in einer Restmenge von 5 mg/kg enthalten ist. Demnach können also Import-Schuhe bis zum mehrhundertfachen belastet sein!



Paßform: Egal welcher Schuh oder welche Marke, der Schuh muß passen! Es gibt schmale und breite Füße, welche mit hohem Rist oder mit schmaler Ferse ... Demnach arbeiten auch verschiedene Hersteller mit unterschiedlichen Leisten. Sogenannte Damenmodelle sind nicht kleine Herrengrößen, sondern auf einem speziellen Damenleisten gefertigt. Achtung: Schuhe, die beim Anprobieren schon butterweich (und damit fürs erste sehr angenehm) sind, werden nach meinen Erfahrungen in Kürze noch weicher. Damit geht die seitliche Führung verloren, der Schaft weitet sich über den Sohlenrand und man bekommt keinen Druck mehr über die Sohle aufs Gelände.



,Halbschuhe', knöchelfreie, Laufschuh-ähnliche Trekkingschuhe sind eine prima Sache zum BergradIfahren und als An- und Abstiegsschuh für Kletterer. Voraussetzung ist jedoch ebenfalls eine verwindungssteife Konstruktion und eine gute Profilsohle. Ein ,weicher Lappen" bat hier nichts zu suchen.



Es ist schon interessant, wie viele gute Bausteine nötig sind, um einen guten "Trekking"schuh zu bauen. Mit solch einem guten Stück eröffnen sich aber dann dem Bergsteiger auch vielfältige Möglichkeiten. So war ich beispielsweise im Frühjahr mit der superleichten Kombination IslandTrekkingschuh + Simond-Riemen steigeisen" auf den Viertausendern Marokkos gut und sicher unterwegs, und das in beinhartem, steilstem Firngelände!



Tips:



Pflege: feuchte Schuhe trocknen (Fußbett rausnehmen), Schmutz abbürsten, mit portwachs behandeln, auf keinen Fall Fett oder Öl! An trockenem Ort mit Holz-Schuhspanner aufbewah ren. 0 Da-der Bergschuh absolut passen muß, geht's halt nicht ohne gewissenhafte Beratung mit Anprobieren. Ich kaufe mir keinesfalls Schuhe beim Großmarkt oder im Versandhandel.



Neue Schuhe erst auf kürzeren Touren ausprobieren, bevors ans Eingemachte geht. Welche Socken passen?



Socken müssen faltenfrei sitzen, neue sind oft problematisch. Socken die zu lange im Gebrauch sind und brettig werden, können keinen Schweiß mehr aufnehmen und verursachen ebenfalls Beschwerden. Hervorragend bewährt haben sich bei mir auf dem Weitwanderweg GTA, reine Schurwollsocken (z. B. von Ortovox).



Bei altgedienten Bergschuhen gelegentlich die Schuhbänder erneuern; was hilft der beste Schuh, wenn man ihn nicht mehr schnüren kann.



Leute mit Probleinfüßen sollten sich von einem Orthopädie-Schuhmachermeister eine Sportein lage anfertigen und anpassen lassen.



nicht jeder sogenannte Trekkingschuh ist ein brauchbarer Bergschuh.



Ein guter Bergschuh braucht viele gute Zutaten und Arbeitsgänge und hat dementsprechend seinen Preis. Dafür lebt er länger und läßt sich mehrfach wiederbesohlen. Mit einem guten Bergschuh lebt man im Gebirge sicherer. Damit hat man auch mehr Spaß und Freude am Wandern, am Bergsteigen, und deswegen geh'n wir doch ins Gebirge!



Pepi Stückl, Bergführer