Rucksackverpflegung für Bergsteiger und Wanderer



Grundsätzliches: Mit dem Essen führen wir unserem Organismus ein vielfältiges Menü von Nährstoffen zu, die verdaut und gespeichert werden und

Energie abgeben (Grundbausteine sind Fette und Kohlenhydrate)

für Aufbau, Unterhalt und Reparation von Zellen und Geweben dienen (Grundbausteine sind Eiweiß, Wasser und Eisen)

für den Aufbau von Stoffwechselregulatoren verwendet werden (dazu zählen die meisten Vitamine und Mineralstoffe).



In der folgenden Übersicht wollen wir den Bedarf an diesen Nährstoffen für den Bergsteiger bei unterschiedlichen Muskelanforderungen beschreiben.



Essen und Trinken sollen natürlich nicht nur einer nüchternen Bedarfsanalyse genügen, sondern vor allem auch gut schmecken und bekömmlich sein. Rucksackverpflegungmuß darüber hinaus leicht und haltbar sein. Beides ist nur mit starkem Wasserentzug der Nahrungsmittel möglich. Wasser muß also immer zusätzlich unterwegs beschafft oder mitgeführt werden.



Etwa 60 % unserer Gesamtkörpermasse bestehen aus Wasser. Verluste von mehr als 6 %, also etwa mehr als 3-4 Liter führen bereits zu schwerwiegenden Funktionsstörungen des Zellstoffwechsels! Unsere Körperzellen schwimmen dabei immer noch in dem "Urmeer", aus dem sich das Leben vor Jahrmillionen entwickelt hat.



Die wichtigsten Elektrolyte dieses Salzwassers sind Natrium, Kalium, Chlorid, Calcium und Magnesium. Unser Körper hat gelernt, Verluste dieser Salze extrem gering zu halten. Bei einer ausgewogenen Kost ist eine zusätzliche Zufuhr durch "Elektrolytkonzentrate" in der Regel nicht nötig.



Bedarf an Nährstoffen beim Bergsteigen



Es sei gleich vorweg gesagt: "Es gibt keine Spezialdiät, keinen Wunderriegel und kein Energiekonzentrat, mit dem wir nicht vorhandene Trainingsleistung ersetzen können".



Ausgewogene bedarfsgerechte Ernährung sichert bestenfalls die vorhandene Leistungsfähigkeit.



Der Muskelenergiebedarf ist erheblich abhängig von Intensität und Dauer der Belastung.

Bei kurzzeitiger sehr intensiver Belastung verbrennt der Skelettmuskel ausschließlich Zucker, der in Form des Meh rfachzuckers Glycogen in der Muskelzelle gespeichert ist. Der Spitzenbedarf bei kurzzeitiger starker, sog. anaerober Muskelarbeit, z. B. beim extremen Fels- und Eisklettern mit Intervallen bis 2 min, liegt bei 40--60 kcal/min. Der maximal mögliche Umsatz bei 100-130 kcal/min. Ein Müsliriegel in der üblichen Verpackungsgröße zu 2 5 g liefert etwa 1 00 kcal.



Das Gesamtmuskelglycogendepot ist erheblich abhängig von dem Trainingsumfang und

der Nahrungszusammensetzung:



Eiweißreiche Kost 5-9 g/kg Muskelgewicht

Gemischte Kost 15-20 g/kg Muskelgewicht

Kohlenhydratreiche Kost 20 bis 40 g/kg



In jedem Fall beträgt das Muskelglycogendepot mindestens 300 g oder 1200 kcal.



Selbst bei Spitzenbelastungen bis 30 min Dauer ist daher kein bestimmter Kosttyp nötig.



Bei Spitzenbelastungen im Ausdauersport Bergsteigen verbrennt die Muskulatur oberhalb 80% der individuellen max. hundertprozentigen Ausdauerleistung ausschließlich Glycogen. Bei mehrstündigen Belastungen mit 70-75% ist der Anteil der Glycogenverbrennung trainingsabhängig. Gut Trainierte haben einen geringeren Anteil als weniger Trainierte. Trainierte sind deswegen später erschöpft. Unterhalb 50% Belastungsintensität der max. Ausdauerleistung deckt der Muskel seinen Energiebedarf ausschließlich mit Fettverbrennung.



Bei intensiven Belastungen über eine Stunde hinaus müssen wir immer mit einer vollständigen Erschöpfung unserer Glycogenreserven rechnen. Werden dann die eigentlich zur Sicherstellung der Hirnversorgung angelegten Leberglycogenreserven von etwa 40-50 g aufgebraucht, droht ein gefährlicher Unterzuckerzustand, den wir allgemein als bedrohliche Erschöpfung mit Bewußtseinsstörung erleben!



Der Bergsteiger kann dem eigentlich nur durch die Wahl des richtigen Gehtempos und einen guten Trainingszustand vorbeugen, so daß fast ausschließlich Energiegewinnung aus Körperfettdepots erfolgt. Diese betragen selbst bei mageren Idealgewichtigen mindestens 50 000 kcal und reichen damit für 10 Tage Muskelarbeit mit 6 Stunden täglich bei 50 % Intensität!



Somit brauchen wir also gar keine Rucksackverpflegung für unterwegs. Wer nach 1-2 Gehstunden nicht mehr kann' und essen muß, ist schlechtweg untrainiert und zu schnell gegangen. Dann soll er aber besser im Stadtpark spazieren gehen und nicht im Gebirge!



Bei bestimmten Etappen im schwierigen Steilgelände ist eine hohe, oft sogar anaerobe Belastungsintensität unvermeidbar. Bei richtiger Einteilung reichen aber beim gut Trainierten die Glycogendepots.



Erst bei Erreichen der Tagesetappe, spätestens aber am selben Abend müssen die verbrauchten Glycogene durch eine kohlenhydratreiche Mahlzeit ersetzt werden.

Der Muskelenergieumsatz liegt bei 1000-1200 kcal/h oder 5000-10 000 kcal/Tag bei 5-8stündiger Belastung im hochalpinen Gelände. Daraus errechnet sich ein Kohlenhydratbedarf von 10-12 g pro kg Körpergewicht und Tag.



Zum Einlagern in wäßriger Glycogenlösung brauchen wir noch etwa 2 Liter Wasser.

Zur Kohlenhydratstoffwechselregulierung wurden außerdem größere Mengen Vitamin B verbraucht und mit dem Schweiß sind Elektrolyte verlorengegangen.



Eine ausgewogene Hüttenverpflegung sollte also gemischte Kohlenhydrate von 400-800 g Trockengewicht aus vollwertigen Grundnahrungsmitteln wie Reis, Kartoffeln, Vollkornprodukten und Mehlspeisen enthalten. Damit werden in bekömmlicher Form auch die verbrauchten Mineralien und Vitamine ersetzt.

Bei Trekking und Expeditionen im Anmarschbereich kann getrost auf die landesübliche Kost wie Fladenbrot, Gersten-Hirse-Mais-Röstprodukte und Trockenfrüchte zurückgegriffen werden.

Der tägliche Eiweiß- und Fettbedarf von 70-100 g ist in unserer gewohnten gemischten Kost sowohl in Mehl- wie in Fleischspeisen, im Einzelfall sogar im Vollmilchpulver, in vollwertiger und ausreichender Form enthalten und muß in der Regel nicht besonders berechnet oder beachtet werden, da er eher über- als unterschritten wird.



Im Tagestourenrucksack brauchen wir also eigentlich nur Notproviant von etwa 200 g Kohlenhydraten. Bewährt haben sich Zwieback, Vollkornknäckebrot, Datteln, Nuß-Müsli-Röstgetreidemischungen mit Trockenfrüchten, gerne auch als Müsliriegel. Für diese wären allerdings Verpackungseinheiten von

100 g sicher realistischer und umweltschonender. Unverzichtbar in wasserarmen Regionen ist ein Wasservorrat von mindestens 1 Liter.



Bei mehrtägigen Touren mit überwiegender oder ausschließlicher Rucksackverpflegung werden wir ganz besonders auf das niedrige Kaloriengewicht achten.



Das Energiekonzentrat heißt "Speck" und liefert, gut durchwachsen, das Doppelte an Energie wie ein Müsliriegel, nämlich 700-800 kcal/100 g. Die Elektrolyte sind kostenlos enthalten.



Eine gute Alternative ist Schokolade mit 500-600 kcal/ 1 00 g. Beides ist zusammen mit Vollkornknäckebrot eine ausgewogene Eiweiß-Fett-Kohlenhydratverpflegung.



Zum Frühstück hat sich ein Vollkornmüsli mit Trockenmilchpulver und Trockenfrüchten, mit warmen Wasser angerührt, bestens bewährt. Abends gibts eine Rinderbouillon oder andere InstantSuppe. Damit stimmt unser Wasser- und Elektrolythaushalt auf bekömmliche Weise. Ein besonderes Elektrolytgetränk tagsüber ist in der Regel immer entbehrlich. Wichtig ist Wasser, in jedem Fall mehr als unser Durst verlangt, oft 3--6 Liter/Tag!



Ein Schlußwort zu den Vitaminund Eiweißpillen und Elektrolytkonzentraten: Bei der vorgestellten Ernährung aus vollwertigen Grundnahrungsmitteln ist auch bei mehrwöchigen Extrembelastungen eine zusätzliche Zufuhr dieser Stoffe in jedem Fall entbehrlch. Sie bringt insbesondere keine Leistungsverbesserung. Anerkannte Sporternährungsfächleute sprechen von den teuersten "Placebos".



Wolfgang Schaffert



Der Autor ist Internist - Sportmedizin und Expeditionsarzt.