Geologie der Ampezzaner Dolomiten
Die gewaltigen Felsberge, die Cortina d'Ampezzo umgeben, sind durch Ablagerungen im Meer entstanden. Wie die Geologen festgestellt haben, begann ihre Entstehung im Erdmittelalter (Mesozoikum), und zwar in der mittleren und oberen Trias, also vor rund 200 Millionen Jahren.
Damals gab es ein seichtes Meer, von den Geologen Tethys genannt, das sich über einen Raum etwa von Gibraltar bis zur Insel Timor erstreckte. Es bildete eine ausgedehnte und sehr lange Vertiefung in der Erdkruste (Geosynklinale) zwischen dem nördlichen, eurasischen Kontinent und dem noch vereinigten südlichen Festland (Gondwanaland), aus dem später Afrika, Indien und Australien hervorgingen.
Ein großer Teil der Alpen, darunter auch unsere Dolomiten, verdankt seine Bildung der Anhäufung von Kalkschlamm und vulkanischer Asche, hauptsächlich aber den mächtigen Ablagerungen (Sedimenten) der Skelette von kalkschaligen Einzellern (Foraminiferen), Kalkalgen, Schwämmen, Korallen und den Schalen von Weichtieren usw., von denen es im tropischen Tethysmeer wimmelte.
Diese Sedimentation dauerte ungefähr 70 Millionen Jahre, ohne daß sich dabei die Wassertiefe wesentlich veränderte. Wegen der Drift der Erdteile, die allmählich auseinandertrieben, verbreiterte sich nämlich der Meeresgraben, und sein Grund sank samt den Ablagerungen immer weiter ab, wobei sich Absenkung und Sedimentation ungefähr die Waage hielten. Die Wassertiefe dürfte dabei immer zwischen 15 und 30 Meter gelegen haben. Das begünstigte eine optimale Entfaltung flachmeerischer Organismen. Am Ende des Erdmittelalters, als sich die letzten Kalkbänke, jene, die heute unseren höchsten Gipfeln entsprechen, im Meer gebildet hatten, setzte jene unvorstellbare Hebung ein, die in der Zeitspanne von etwa 60 Millionen Jahren die Ablagerungen bis zur heutigen Höhe hinausschob und die Gebirge entstehen ließ (Orogenese).
Kassianer Formation
Im folgenden beschreibe ich in vereinfachter Form, von unten anfangend, die dabei entstandene Schichtenfolge der Ampezzaner Dolomiten, soweit sie als Fundstellen für Fossilien von Interesse ist.
Um mehrere charakteristische Stufen der Ampezzaner Gesteinsformation gleichzeitig und deutlich überblicken zu können, wählen wir als günstigen Beobachtungspunkt den kleinen, heute ausgetrockneten Costalaresc-See (von Cortina l/2 Std. zu Fuß, von der Mittelstation der Bergbahn Faloria in 2 Std. erreichbar), Von den Erdrutschen aus, die das ehemalige Seebecken umgeben, lassen sich viele übereinanderliegende Schichten am nahen Faloriaberg erkennen.
Wir befinden uns hier auf einer Formation des unteren karnischen Alters (ca. 200 Mio. Jahre), deren Name vom Dorf St. Kassian im Gadertal herrührt; dort wurde zuerst ihre eigenartige Fauna entdeckt und studiert. Diese Stufe ist fast überall gras- oder waldbedeckt; fossilienreiche Stellen können also nur dort geortet werden, wo der Boden abgerutscht ist. Solche Plätze gibt es zwar in der Gegend ziemlich viele, aber sie werden in wenigen Jahren immer wieder von der Vegetation überwachsen. Die Stufe besteht aus grauen, ockergelben und ziegelroten Mergeln, die, vermischt mit härteren Kalk- und Sandsteinen, eine große Menge Versteinerungen enthalten. Die gleiche Stufe erstreckt sich über das ganze Ampezzaner Talbecken; ihre obere Grenze liegt bei Rumerlo, Son di Prade, Vervei, Cianzope, Boa de Staolin, Tamarin, Milieres, alles fossilienreiche Stellen, die ich selbst entdeckt habe. Etwas außerhalb des Gemeindegebietes befinden sich zwei andere wichtige Fossilienfundstellen dieser Art: die Seelandalpe und Misurina, die von Hoernes gegen Ende des vorigen Jahrhunderts gefunden vvurden, und eine Gegend um Giau, die ich selbst noch 1941 entdeckt habe und für die Stachelhäuter (Echinodermata) kennzeichnend sind.
An diesen Stellen habe ich mehr als 950 verschiedene Arten von Tieren gefunden. Eine so mannigfaltige Fauna konnte nur in einem seichten Meer leben, wahrscheinlich auf einer zwanzig bis dreißig Meter tiefen, von Korallenriffen umgebenen Plattform, wo das Wasser bewegt, aber klar war und nur selten von plötzlicher Zufuhr von Tonen und vulkanischen Aschen getrübt wurde. Es herrschten also dort, bei tropischem Klima, ähnliche Verhältnisse wie heute im Bereich der Südseeinseln. Der Lebenszyklus der Organismen wurde zudem von den günstigen Umweltbedingungen beschleunigt: Das starke Sonnenlicht drang durch das klare Wasser und begünstigte so das Wachstum von pflanzlichen und tierischen Nährstoffen.
Von benachbarten Korallenriffen brökkelten Stücke ab, und Schalen von Weichtieren häuften sich auf dem Grund. So finden wir, in Kassianer Mergellagen eingefaßt, etwa 15 Zentimeter mächtige, lockere Schichten, wo Versteinerungen in großen Mengen unter Kalkbrocken und Sandschichten zutage treten; sie sind ausgezeichnet erhalten und sehr mannigfaltig. Nur wenn man diese Mischung siebt und unter die Lupe nimmt, kann man die winzig kleinen versteinerten Schwämme, Korallen, Muscheln, Brachiopoden (Armfüßer) und Stacheln von Seeigeln entdecken.
Berühmt ist die Kassianer Formation nicht nur, weil ihre Organismen eigentümliche Lebensverhältnisse offenbaren, sondern vielmehr, weil ihre Fauna durch besondere Umstände hervorragend erhalten ist. Die Kalkblöcke, welche die Versteinerungen umhüllen, blieben lange Zeit unter der Grasdecke und wurden deswegen von der Humussäure aufgelöst. So kommen die Schalen der Weichtiere, die Schwämme- und Korallenskelette, die ihre ursprüngliche aragonitische Zusammensetzung (CaCO3) beibehalten haben, wieder einzeln zum Vorschein und fallen in die weiche Erde. Ihre Strukturen, auch die zartesten, sind derart vollkommen erhalten, daß sie ohne weiteres mit Mustern verglichen werden können, die heute an einem Strand der Südsee aufgelesen werden. Ich nehme deswegen an, daß alle Museen der Welt kleine Sammlungen unserer Kassianer Fauna besitzen. Nach Untersuchung meiner Versteinerungen vermute ich, daß es schon damals im heutigen Ampezzaner Raum nebeneinander verschiedene Zonen mit etwas abweichenden Umweltbedingungen gab; denn in den drei bedeutendsten fossilienhaltigen Bereichen (Seelandalpe und Misurina; Becken von Ampezzo; Sass de Stria und Pralongia) weisen die Versteinerungsvergesellschaftungen unterschiedliche Merkmale auf, besonders was die Korallen und die aragonitischen Schwämme betrifft.
Das Studium der Kassianer Fossilien begann mit dem Geologen von Buch, der schon 1824 auf einer Dolomitenwanderung eine Sammlung zusammenzutragen begann, die er 20 Jahre später dem Freiherrn von Münster schenkte, womit er diesen zur Fortsetzung der einschlägigen Studien veranlaßte. Eine ganze Anzahl von Forschern widmete sich seither und bis heute dem Studium der Fossilien dieser Schicht. Von den heutigen Forschern soll hier nur Frau Prof. Gallitelli (Universität Modena) genannt werden mit ihren wertvollen Arbeiten über die Koralle. Für diese Untersuchung habe ich meine gesamte Sammlung zur Verfügung gestellt; viele Exemplare befinden sich an den Universitäten Padua und Modena.
Kassianer Dolomit
Oberhalb der bisher beschriebenen Stufe bemerken wir am Faloriaberg eine senkrechte Wand aus graurosafarbigem, nicht geschichtetem Fels - nicht geschichtet deshalb, weil die Korallenriffe von unten wachsen und somit keine Sedimentation stattfindet. Dieses feste Gestein ist der Kassianer Dolomit, hier karnischen Alters. Er wurde von ungezählten Generationen von Korallen, Kalkalgen und anderen Organismen gebildet, die in geringer Tiefe lebten. Um eine Mächtigkeit von 500 bis 600 Meter zu erreichen, muß auch diese Formation eine fortlaufende Absenkung mitgemacht haben. Die Versteinerungen sind meist nur in Form von unvollständigen Abdrücken erhalten, weil sich hier die ursprünglichen Kalkstrukturen in Dolomit umgewandelt haben. Bei diesem Prozeß wurden Kalzium und Magnesium ausgetauscht, so daß ein Kalk- und Magnesium-Doppelkarbonat (CaM91C0312) zustande kam. Dieses Mineral und das daraus bestehende Gestein wurden dann zu Ehren des französischen Wissenschaftlers Dolomieu (1750-1801) Dolomit genannt. Die chemische Umwandlung löste alle Schalen der Weichtiere, die Schwämme- und Korallenskelette auf, so daß diese Gesteine nur Negativabdrücke von Bivalven (zweischaligen Muscheln) und Gastropoden (Schnecken) enthält, nie aber echte Fossilien in ihrer ursprünglichen Form wie die Kassianer Schicht. Dolomitwände dieser Art entsprechen der äußeren, dem Meer ausgesetzten Seite von Korallenriffen, die von den stürmischen Wellen allmählich zertrümmert, aufgerieben und mit dem eigenen Schutt bedeckt wurden. Aus Kassianer Dolomit sind bei uns die Tonde de Cianderou, die Wände des Col de Bos, der Cima Falzarego, des Kleinen Lagazuoi, des Nuvolau, des Sokkels des Averau, die Wände der Lastoni de Formin, der Crepa di Pocol, des Becco d'Aial. Die meisten Fossilien sind hier Abdrücke von Korallen und Gastropoden.
Am Faloriaberg ist der Kassianer Dolomit zwischen der Kassianer Formation und den Raibler Schichten eingeschoben; an anderen Stellen kann er aber dasselbe Alter wie die Wengener und Kassianer Schichten aufweisen und unmittelbar mit dem Hauptdolomit in Berührung kommen.
Hauptdolomit
Von unserem Beobachtungspunkt beim Costalaresc-See aus unterscheiden wir oberhalb der bunten Raiblerschichten wieder senkrechte Wände, die sich von den tieferen zwar nicht in der Farbe, aber durch ihre regelmäßige Schichtung unterscheiden. Die oberen Wände bestehen aus Hauptdolomit von norisch-rätischem Alter (ca. 190-180 Mio. Jahre); dieser Felsenart verdanken die »Bleichen Berge« die einmalige Gestalt ihrer Wände, Türme, Zinnen und Nadeln.
Der Übergang von den Raiblerschichten erfolgt unvermittelt; die erste dicke Schicht Dolomit fußt direkt auf Mergeln, die leicht verwittern und dadurch die Abspaltung der darauf stehenden Wände entlang bestehender Bruchflächen begünstigen und zu deren Absturz führen. So treten die Wände oft treppenförmig zurück. Dies kommt in den Dolomiten häufig vor, sowohl am Fuß der Berge als auch oberhalb der Bänder, die ebenfalls aus leicht verwitternden mergeligkalkigen Ablagerungen bestehen und oft die Wände in regelmäßigen Abständen durchqueren.
In der bis 800 Meter mächtigen Abfolge oberhalb dieser Bänder findet man gelegentlich, nie aber mehr als viermal, Schichten von maximal 2 Meter Mächtigkeit, die aus Anhäufungen von Algenabdrücken, von Bivalven- und Gastropoderimodellen gebildet sind.
Der Hauptdolomit enthält fast ausschließlich Versteinerungen von Bivalven, Megalodonten und Dicerocardita genannt, in jeder Größeli die kleinsten sind nur einen Zentimeter groß, die größten erreichen bis zu 58 Zentimeter im Durchmesser, Sie sind aber nur Modelle, das heißt Abgüsse oder Steinkerne ihres inneren Hohlraumes; die eigentliche, ursprüngliche Schale wurde während der Umwandlung des Kalkschlammes in harten Stein aufgelöst. Zwischen dem umschließenden Felsen und dem inneren Abguß der Fossilien ist ein schmaler Hohlraum noch vorhanden, welcher der Dicke der aufgelösten Hülle entspricht; daraus ergibt sich die Folgerung, daß die Schale, besonders bei den Wirbeln (Hörnern) ziemlich dick gewesen sein muß. Diese besondere Struktur läßt zudem vermuten, daß das Meer, in dem solche Organismen lebten, nur wenige Meter tief war.
Neuere Untersuchungen hoben hervor, daß einige Dolomite sich sogar auf einem Niveau bildeten, das zwischen den Spiegeln von Ebbe und Flut lag und vorübergehende Phasen der Emersion erfuhr; das beweisen polygonale Formationen, die auf der Oberseite gewisser Schichten durch Austrocknung entstanden sind und Spuren von Erosion aufweisen.
Die bekanntesten Ampezzaner Berge, die aus Hauptdolomit bestehen, sind: der Piz Popena, der Monte Cristallo, der Pomagagnon, der Col Rosä, die Tofane (Gipfel ausgenommen), die Fanes-Türme, der Große Lagazuoi, die Cinque Torri, die Croda da Lago, der Becco di Mezzodi, der Sorapis.
Die rostbraune Färbung vieler Dolomitwände ist wohl auf Eisenoxyde zurückzuführen.