Die östlichen Dolomiten
Die alpine Geographie unterscheidet in Westliche und Östliche Dolomiten. Die Trennung ist klar und eindeutig: Sie beginnt mit dem Gadertal, das aus dem Pustertal, von St. Lorenzen bei Bruneck, der Gader entlang hineinzieht nach Corvara, setzt sich über den CampolongoPaß hinab nach Arabba fort und folgt dort dem Lauf des Torrente Cordevole, der weit unten im Süden, zwischen Belluno und Feltre, in den Piave mündet. Östlich dieser Linie bis zum Kamm der Karnischen Alpen bauen die Östlichen Dolomiten ein Gebirge auf, das in seiner Ausdehnung, im Zusammenspiel von Berg und Tal und deshalb auch im Tourenreichtum die Westlichen Dolomiten noch übertrifft. Die Ampezzaner Dolomiten sind ein Teil dieser Östlichen Dolomiten.
Die Ampezzaner Dolomiten
Ein lieblicher, grüner, weiter Talkessel, den bewundernswerte Berge umgeben, ist das Herz der Ampezzaner Dolomiten. Die kleinen Dörfer und Weiler, die in vergangenen Zeiten über den Talgrund verstreut lagen, sind jetzt größtenteils von Cortina d'Ampezzo einverleibt worden, das mit Recht als «Perle der Dolomiten» gilt.
Die natürliche Umwelt und das günstige Klima haben zum Entstehen eines der namhaftesten Luftkurorte des gesamten Alpenraums beigetragen. Cortina hat heute sportlich-touristische und Freizeiteinrichtungen aufzuweisen, die von herrlichen Skipisten und zahllosen Bergbahnen zu lebhaften Geschäften und mondänem Treiben reichen. Umsichtige Planung und gesunder Menschenverstand haben hier glücklicherweise vermieden, daß mitten im Gebirge eine Stadt entstand. Der Besucher erlebt hier dagegen einen Ort, der auf das Engste mit der umliegenden Natur verbunden ist. Nur wenige hundert Meter vom Zentrum von Cortina entfernt kann man in der Architektur der kleinen, umliegenden Weiler noch unverfälschte Zeugen der Geschichte und der Traditionen der Ampezzaner Welt entdecken. Es sind dies die überlieferten Zeugen eines kleinen Reiches, das im Laufe der Jahrhunderte Künstler, Schriftsteller und tüchtige Handwerker hervorgebracht hat.
Die Berge, die dieses berühmte Fremdenverkehrszentrum umgeben, wirken trotz ihrer Nähe niemals erdrückend, sodaß von Cortina insgesamt eine wohltuende Harmonie ausgeht. Und liebliche Ausblicke bieten sich sowohl vom Talgrund aus wie auch von einer Weide oder einem Gipfel. Die grüne Umwelt hüllt hier überall schlanke Felstürme und steile Wände ein, die zum Himmel aufragen. Das Ampezzo-Tal schiebt sich gegen Norden zwischen dem Coi Rosä und dem Pomagagnon vor, während weiter im Norden die Hohe Gaisl sichtbar wird. Im Nordosten ragt über dem Passo Tre Croci der mächtige Dolomitgipfel des Monte Cristallo auf, einer der fesselndsten Felsgiganten der Ampezzaner Dolomiten. Neben ihm scheint sich der Piz Popena bescheiden und geheimnisvoll zurückziehen zu wollen. Im Osten fallen die Faloria-Gipfel, die hervorragende Aussichtspunkte darstellen, mit Felswänden und Wäldern gegen Cortina ab, während der Sorapiss wie ein mächtiger Wachtturm aufragt. Im Süden tritt der schnee- und eisbedeckte Antelao aus den Wolken hervor, mit seinen 3263 m der zweithöchste Berg der Dolomiten und der höchste der östlichen Dolomiten. Von Cortina aus gesehen hat er die Gestalt eines schlanken Blocks, von San Vito di Cadore dagegen wirkt er wie eine stark durchsetzte Felspyramide. Dem Antelao gegenüber beherrscht ein weiterer Bergriese das Boite-Tal und das Zoldano: Es ist der Monte Pelmo, der durch seine isolierte Lage noch viel faszinierender erscheint. Seine originelle Gestalt hat ihm den treffenden Beinamen «Thron der Götter» eingebracht. Westlich des Talkessels von Cortina steigen Berge wie der Becco di Mezzodi, die Croda da Lago, der Nuvolau und die kleinen, aber bemerkenswerten Cinque Torri gegen den Himmel an. Sie sind weniger großartig anzusehen, doch ihre Spitzsäulen, Türme und Pfeiler ziehen die Blicke unwiderstehlich an.
Diese zerklüftete Kette wird vom wald- und wiesenreichen Costeana-Tal begrenzt, das am Pocol vorbei gegen den Falzaregopaß ansteigt. Der Hügel von Pocol bietet Skiläufern wie Hochgebirgswanderern zahllose Möglichkeiten, die Schönheiten dieser Welt zu entdecken.
Nördlich des Costeana-Tals ragen aus einem einzigen Sockel die drei riesigen Tofane-Pyramiden auf, die in ihrer Großartigkeit zweifellos mit zum Weltruhm von Cortina beigetragen haben. Besonders auffallend und fesselnd ist die mit ihren 3225 m kleinste der TofaneSchwestern, die Tofana di Rozes. In ihrer großartigen Gestalt und in den Spuren des Ersten Weltkriegs verschmelzen hier die Naturschönheit von heute und die triste Geschichte der Vergangenheit miteinander. Komplizierter in Aufbau und Gestalt sind die Tofana di Mezzo und die Terza Tofana, die auch schwerer zugänglich sind. Auf die Tofana di Mezzo führt allerdings eine «Pfeil des Himmels» genannte Seilbahn, die allen die Möglichkeit gibt, das faszinierende Panorama der Ostalpen zu genießen. Und beim Blick vom Gipfel der Tofana di Mezzo bis hin zu den grenzenlosen Horizonten wird einem erst recht bewußt, daß diese Welt um Cortina d'Ampezzo in ihrer erhabenen Schönheit niemals genug gepriesen werden kann. Hier werden in jedem Besucher starke Emotionen erweckt, und die bequemen Wege, die gastlichen Schutzhütten, die guten Straßen und die zahlreichen gemütlichen und bestens ausgestatteten Fremdenverkehrsorte helfen dem Gast, immer neue Reize zu entdecken.
Cortina d'Ampezzo
Ein weltberühmter Name, ein Ort auf 1266 Meter Meereshöhe, laut Dolomiteneinteilung nicht das geographische, jedoch das touristische Zentrum. Rund um das Ampezzaner Becken erheben sich klassisch schöne, hohe Berggipfel, eine Dolomitenwelt, die - besonders auf der Fahrt vom Falzarego-Paß hinab nach Cortina - jeden Reisenden in Begeisterung versetzt.
Wenn wir den Ort betrachten, dort einkehren und als Bergsteiger, Wanderer oder Skifahrer auch länger verweilen, erkennen wir sehr schnell, daß kein anderer Dolomitenraum die touristische und auch wirtschaftliche Bedeutung von Cortina d'Ampezzo erreicht. Wo sonst noch schenken die Dolomiten einer Talschaft einen solch hochalpinen Gipfelkranz?
Bevor wir nun die Ampezzaner Berge würdigen, schlendern wir durch Cortina, nehmen das Fluidum dieses Ortes auf, der längst kein Dorf mehr, aber auch keine Stadt ist und der doch als »Hauptstadt der Dolomiten« gilt. Cortina teilt das Schicksal anderer berühmter Frerndenorte: Im Frühsommer und Spätherbst fast eine Geisterstadt, in der Saison aber, ob Sommer oder Winter, ein internationaler Treff der großen Welt, die innerhalb der Dolomiten nur in Cortina das vorfindet, was zum sportlichen »high life« gehört. Die Hauptstraße, der corso Italia, ist eine Fußgängerzone, ein überaus belebter Boulevard zum Flanieren und Schauen, man will sehen und gesehen werden. Angelo Dibona (1879-1956), der große Cortineser Bergführer - als SIMBOLO DELLE GUIDE AMPEZZANE ist er den Cortinesern ein Denkmal wert -, schaut diesem Treiben gelassen zu, denn schon zu seiner besten Zeit vor der Grande Guerra, dem Dolomitenkrieg zwischen 1915 und 1917, war Cortina d'Ampezzo ein Bergsteigerzentrum, in dem sich im Sommer alle Welt ein Stelldichein gab. Den Grundstein zur Wintersaison legten schließlich die Olympischen Winterspiele von 1956. Neben der Dibona-Büste am corso Italia verdient noch ein schlichtes Denkmal am Eisstadion einen Besuch: Es erinnert an den französischen Geologen Deodat Gratet de Dolomieu (1750-1801), nach dem die »Dolomiten« benannt sind.
Zankapfel zwischen Tirol und Italien
Wir wissen, daß einst die Räter weite Teile der Alpen besiedelten und auch im heutigen Ampezzo seßhaft waren. Die bajuwarische Landnahme aus den nördlichen Gebirgstälern und der italienische Druck von Süden drängten die Nachfahren, die rätoromanischen Dolomitenladiner, mit Beginn des 6. Jahrhunderts immer weiter in die innersten Gebirgstäler zurück. Nach dem Grafen Albert von Görz im 13. Jahrhundert legten die Patriarchen von Aquileja und nach ihnen - 1420 - die Republik Venedig die Hand auf Land und Leute. Im »Cadore«, wie der Landstrich im Süden von Cortina und Auronzo heißt, nahm deshalb der italienische Einfluß zu; im Norden von Cortina besaßen jedoch die Tiroler Landesfürsten am Eingang zum »Gemärk« die Feste Peutelstein. Wegen der Unsicherheit über die tatsächlichen Hoheitsrechte kam es im Jahre 1508 schließlich zum Krieg zwischen dem deutschen Kaiser Maximilian I. und Venedig und zur Schlacht bei Rusecco, vor Pieve di Cadore. Der Kaiser wurde schwer geschlagen; 1511 gelang jedoch die Wiedereroberung von Peutelstein und des Talkessels von Ampezzo, des damaligen deutschen »Haiden«. Im gleichen Jahr entschied sich die Ampezzaner Bevölkerung in einer Volksabstimmung freiwillig für die Zugehörigkeit zu Tirol, an der sich bis zur Abtrennung von Südtirol an das Königreich Italien im Jahre 1919 - mit Ausnahme des napoleonisch-bayerischen Zwischenspiels von 1810 bis 1813 nichts mehr änderte. Seither gehört Cortina d'Ampezzo politisch zur Provinz Belluno. Bei Beginn des Dolomitenkrieges im Mai 1915 räumte Österreich kampflos den Ampezzaner Kessel und nahm der besseren Verteidigung halber die Front auf die nördlichen Gebirgskämme zurück; Cortina selbst wurde Sitz höherer italienischer Kommandostellen,
Phantastische Berge und bizarre Türme
Endlos die Superlative, die jeder Cortinabesucher gebraucht, wenn er zu den Bergen aufschaut. Ernsthafte Bergsteiger sind aber meist etwas nüchterner. Sie nehmen die Gestalt, die Architektur eines Berges mit kahlerem Blick wahr, denn ihr erstes Interesse gilt, seit der Mensch um der Berge willen auf die Gipfel steigt, einer möglichen Aufstiegsroute. Jeder Ort hat ein Zentrum, von dem aus alle Straßen und Wege auseinanderlaufen - Cortina besitzt ein bauliches und zentrales Wahrzeichen, das im gesamte Dolomitenraum ohne Beispiel ist. Der freistehende, aus weißem Kalkstein errichtete, 72 Meter hohe Kirchturm schmückt seit 1853 das Ampezzaner Becken. Kein Besucher, gleich, aus welcher Richtung er nach Cortina anreist, kann diesen Turm übersehen! Vom obersten Ausguck ist der Rundblick einmalig, in Luftlinie bis zu 12 Kilometer sind alle Berge zu sehen, die man besuchen kann. Wir gehen mit der Uhr: von Norden über Osten nach Süden und über Westen zurück nach Norden, Stationen unserer Bergfahrt sind Pomagagnon, Monte Cristallo, Sorapis, Antelao, der Monte Pelmo, die Croda da Lago, der Nuvolau, die Cinque Torri und die Tofanen.