DAS ÖTZTAL

Wenn in alpinen Kreisen vom Hochgebirgszauber Tirols die Rede ist, dann ist meistens die hochalpine Gletscherwelt des Ötztals gemeint. Erinnerungen an Wanderungen entlang der schäumenden Ache, empor über die Geländestufen von Oetz, Umhausen, Längenfeld und Sölden, hinauf ins eisschimmernde Reich der Wildspitze, 3768 m, der Weißkugel, 3738 m, oder des Similaun, 3599 m, werden wach. Das 70 km lange Ötztal wird mit seinen Siedlungen ganzjährig als ideale Erholungslandschaft geschätzt. Eine gut ausgebaute Straße bringt die Touristen in das Ötztal bis zur letzten Talstufe von Sölden. Bei Zwieselstein zweigt das Venter und das Gurgler Tal ab. Vom Gurgier Tal windet sich die Timmelsjoch-Straße (Maut!) zum 2474 m hoch gelegenen Timmelsjoch (Staatsgrenze Osterreich/Italien). Diese Straßen- verbindung zwischen dem Ötztal und dem Passeier Tal ist nur in den Sommermonaten geöffnet.

Die ältesten Versuche der Erschließung der Tiroler Hochgebirgswelt sind vom Ötztal ausgegangen: Dort stand auch die Wiege des "Osterreichischen und Deutschen Alpenvereins", war doch einer seiner Begründer, Franz Senn, 1860 - 1872 Seelsorger im Hochgebirgsdorf Vent. Dort hat er jahrelang als einer der alpinen Pioniere die Eisriesen der Ötztaler Alpen als Erster bezwungen, Schutzhütten erbaut und Bergführer heran gebildet. Im Laufe der letzten Jahrzehnte, seit das Ötztal für die internationale Bergwelt erschlossen ist, sind die Talsiedlungen zu stattlichen Dörfern herangewachsen. Schöne Bürgerhäuser und Gaststätten, in heimischer Tiroler Bauart errichtet, vielfach auch mit Freskomalereien geschmückt, scharen sich um die Dorfkirche, die sich meist auf erhöhtem Felssitz erhebt. In höheren Lagen, bereits in der Almregion, sind alte Bauerngehöfte auf den sonnigen Hängen. In den höchstgelegenen, ganzjährig bewohnten Bauernhäusern der Ostalpen, den Rofenhöfen, 2011 m, in Vent, fand der Sage nach der flüchtende Herzog Friedrich im Jahr 1416 eine sichere Heimstätte, als das Konstanzer Konzil ihn verbannte. Zum Dank für dieses Asyl im Bereich des Hochjochferners verlieh er den Rofenhöfen besondere Rechte (z. B. Steuerfreiheit); wer sich in ihre Mauern flüchtete, den schützten sie als Freistätte. Die Rofenhöfe sind auch heute noch besiedelt, mittlerweile voll erschlossen, auf einer Straße erreichbar und daher ein beliebtes Ausflugsziel. Sowohl im Sommer als auch im Winter hat der Fremdenverkehr im Ötztal sehr stark zugenommen. Das Angebot an Bergbahnen und Liften ist sehr groß, z. B. Ganzjahresschigebiet auf dem Retten- und Tiefenbachferner (Mautstraße), Schigebiet Gurgl-/Hochgurgl und Sölden-Hochsölden; man ist sehr bemüht, für Gäste und Einheimische ein gutes Wanderwegenetz und Aussichtspunkte anbieten zu können.

Vor hundert Jahren begann Sebastian Finsterwalder mit seiner Gletscherforschung am Vernagtferner in den hintersten Ötztaler Alpen; Messungen und Beobachtungen werden bis heute fortgesetzt. Die Meteorologische Station nahe der Vernagthütte, einige aufgestellte Ombrometer und eine Klimastation liefern laufend die neuesten Meßergebnisse.

Eine jahrhunderte lange Tradition in den Ötztaler Alpen ist die jährlich im Juni stattfindende Wanderung von tausenden Schafen und ihren Hirten vom Südtiroler Vinschgau über die Grenze zu den Almen im Nordtiroler Ötztal, z. B. über das Niederjoch (östlich der Similaunhütte).

Die Ötztaler Volksart zeigt sich am deutlichsten in der alten Volkstracht, die u. a. am Kirchtag, bei Prozessionen, Schützenfesten, Gedenkfeiern stolz getragen wird. Die Männer tragen dunkelbraune Joppen und breitrandige, gelbe, mit grünen Bändern ausgenähte Hüte; die Frauen faltenreiche Röcke, reichgezierte Mieder und die hohen, spitzen Wollkappen. Eine besondere Eigentümlichkeit der Ötztaler Frauentracht sind die dicken, wollenen Kniestrümpfe, die "Höslein". Das Ötztal ist die Heimat bedeutender Männer gewesen. Neben dem erwähnten Kurat Franz Senn hat sich der Kurat von Gurgl, Adolf Trientl, durch seine bahnbrechende und erfolgreiche Förderung der tirolischen Landwirtschaft, insbesondere in seinem Heimattal, den Ehrennamen des "Tiroler Mistapostels" verdient. Auch der als Kirchengelehrter hervorragende Salzburger Universitätsprofessor Dr. Josef Anton Schöpf wurde 1822 in Umhausen geboren.