Nikolaus - Erziehung mit Stutenkerl und Rute

LWL-Kommission erforschte westfälisches Brauchtum zum 6. Dezember



Münster (lwl). Roter Mantel, Rute und Sack waren zu seinen Lebzeiten im 4. Jahrhundert sicher nicht seine Markenzeichen, eher schon der Bischofsstab und die legendären Wohltaten. Vor allem letztere machten den Bischof aus Myra (Kleinasien) namens Nikolaus zu einem der beliebtesten Heiligen des Abendlandes. Er ist der Schutzpatron der Schiffer, der Kaufleute und der Schüler. In aller Welt sind ihm Kirchen geweiht.



Heute beschenkt Sankt Nikolaus am 6. Dezember oder am Vorabend des Festtages Jungen und Mädchen - vorausgesetzt, sie waren artig. "Im 19. Jahrhundert war bei der katholischen Bevölkerung nicht Weihnachten, sondern der Nikolaustag in Westfalen der wichtigste Geschenktermin für Kinder",

weiß Christine Gottschalk von der Volkskundlichen Kommission des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL), die seit vielen Jahren das Weihnachts- und Nikolausbrauchtum erforscht. Im Buch "Von Advent bis Dreikönige. Weihnachten in Westfalen", das der LWL 1996 herausgab, gibt Volkskundler Prof. Dietmar Sauermann einen umfassenden Überblick über das Thema.



Obwohl die evangelische Kirche im ausgehenden 19. Jahrhundert einen regelrechten Kampf gegen das "abgöttische" Nikolausbrauchtum führte, hielt nicht nur die katholische Bevölkerung Westfalens an der überkommenen Tradition fest. So war es um die Jahrhundertwende weithin üblich, am Vorabend des 6. Dezembers einen Teller oder einen Schuh vor das Bett oder aufs Fenstersims zu stellen, damit der "Sünne Kloas" ihn mit Obst, Süßigkeiten, einem Stutenkerl oder Spielzeug füllen

konnte.



Ebenfalls unerkannt, dafür aber lautstark machte sich der Nikolaus beim sogenannten "Auswerfen" oder "Schmieten" im märkischen Sauerland, im Siegerland und in Teilen des Münsterlandes bemerkbar. "Der Mann polterte vor dem Haus und fragte durch die verschlossene Tür hindurch, ob die Kinder artig waren. Nach einem eindeutigen 'Ja' warf der Nikolaus Äpfel und Nüsse in die Stube und verschwand. Im Münsterland wurden die Geschenke gewöhnlich durch den Kamin ins Haus geworfen", erzählt Christine Gottschalk von der Volkskundlichen Kommission des LWL.



Erst im 20. Jahrhundert wurde es üblich, dass der Heilige Mann persönlich ins Haus, in die Schule oder zur Vereinsfeier kam und dort mit einer Mischung aus Freude und Angst erwartet wurde. Denn der gute Nikolaus hat(te) in der Regel nicht zur Zuckerbrot, sondern auch seinen strengen Helfer Knecht Ruprecht mit der Rute dabei. Die erzieherische Seite des Nikolausbrauchtums hat ihren Ursprung in der mittelalterlichen Klosterschule. Gottschalk: "Die Gabe sollte Kinder zum Gebet und zum Fasten vor den kirchlichen Feiertagen anspornen. Gleichzeitig hatte der Heilige Mann ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte der Kinder."



Der Hieb mit der Rute vor der Belohnung war weit verbreitet. In einigen Gegenden Westfalens uferte die Bestrafung um die Jahrhundertwende allerdings regelrecht aus. "Aus dem Minden-Ravensberger Raum wird berichtet, dass Kinder, die nicht beten wollten, in den Sack gesteckt und derbe züchtigt wurden. Knechte und Mägde fesselte man, schleppte sie bei Dunkelheit in den Wald, drehte sie im Kreis herum und lies sie allein zurück", berichtet die LWL-Volkskundlerin. Erst eindringliche Appelle von der Kanzel und Eingriffe der Regierung konnten diesem wilden Nikolaustreiben ein Ende setzen.