2. DIE TAUFE
Es ist bereits gesagt worden, dass die Taufen möglichst bald, wenn nicht noch am Tage der Geburt vorgenommen wurden; deshalb mußte zwangsläufig auch werktags getauft werden. Die Geistlichen, aber auch die Eltern legten auf eine frühzeitige Taufe sehr großen Wert; denn es mußte bei der hohen Kindersterblichkeit auch damit gerechnet werden, dass ein Säugling starb. Dann sollte er - durch die Taufe - ein „Engelchen" sein. Von daher ist es verständlich, wenn das Kind noch am Tage der Geburt die hl. Taufe empfing. Und wenn dann - was sehr häufig war - der Tagesheilige bei der Namensgebung berücksichtigt wurde, fielen Geburtstag und Namenstag zusammen.
Getauft wurde an Werktagen nach der Schulmesse, die um 8 Uhr zu Ende war oder an Sonntagen nach der letzten Messe, die zumeist um 11.15 Uhr begann und gegen 12 Uhr zu Ende war („Kostgänger's Miss" -Kostgängermesse).
Wenn ein Kind geboren wurde, war es der erste Nachbar, der es als erster wissen sollte. Diese Benachrichtigung erfolgte durch den Vater (evtl. auch durch die Hebamme, wie z. B. in Billerbeck). Der erste Nachbar oder der Vater trugen auch die Taufkerze; manchmal waren es auch Nachbarkinder oder Meßdiener.
Während die „Soltmoer" oder die „Hölp" das Kind während der Fahrt mit der Kutsche oder dem "Gick" auf dem Arm trug, waren es die Taufpaten, die das Kind dann in die Kirche trugen. Von den letzteren sagte man: „Se möggen dat Kind fasthollen" oder „driägen" („Sie mußten das Kind halten" oder „tragen").
Das Taufkleid
Es gab nur ein Taufkleid für alle Kinder, ob Junge oder Mädchen. Zumeist war es in der Familie schon vorhanden, entweder vom Vater oder der Mutter; dieses wurde auch für den neuen Säugling genommen. Manchmal waren es mehrere Generationen, die im gleichen Taufkleid getauft wurden. Wenn ein Taufkleid in der Familie nicht vorhanden war, so waren es schon mal die Paten, die für seine Anschaffung sorgten. Meistens aber ließen es sich die Eltern nicht nehmen, selbst ein neues anzufertigen. Dabei wurde großer Wert auf Spitzen und Stickereien gelegt; besondere Motive, Namenszüge o. ä. auf dem Taufkleid waren allerdings nicht bekannt.
Das weiße Taufkleid (in dem das Kind mitsamt „Puck" war) erhielt, je nachdem, ob es ein Junge oder Mädchen war, eine blaue oder rosa Schleife. Bei der Taufe wurde dem Täufling das Taufkleid nur aufgelegt - erst zu Hause wurde es ihm „angezogen" und das Kind so der Mutter wieder übergeben. Beim nächsten „Pukken" wurde es jedoch wieder ausgezogen, in einen großen Bogen sauberes Papier gewickelt und wieder aufbewahrt (meistens in der Truhe).
Im Lüdinghauser Raum war in der Sakristei immer ein Taufkleid vorhanden, das der Küster dann zurechtlegte, wenn die Eltern des Täuflings keines mitbrachten. Nach der Taufe kam dieses Taufkleid wieder zurück in die Sakristei.
Der Taufritus
Der Ritus der Taufe war (und ist auch heute noch) aufgeteilt:
Zunächst wurde hinten in der Kirche („in'n Toan") der ,Teufel ausgetrieben" („den Düwel utjagen") - dann erst ging es „nach vorn in die Kirche" zum Taufstein. Aufgabe der Nebenpaten war es, dem Täufling die Hände aufzulegen.
Nach der alten „Ordnung der Kindertaufe" aus dem Jahre 1930 sprach der Priester zum Schluß der Taufe:
"Christliche Paten! Nun ist dieses Menschenkind zugleich ein Gotteskind geworden, und seine Seele würde, wenn es bald nach dieser heiligen Handlung stürbe, ins Reich Gottes, in den Himmel eingehen. Soll es aber nach Gottes Willen und zur Freude der Eltern leben und heranwachsen, so muß es sich, wie wir alle, den Himmel verdienen. Dazu wird ihm helfen unsere heilige Kirche, in die es soeben durch die Taufe aufgenommen wurde. Es ist also eine heilige, von Gott den Eltern und Erziehern aufgelegte Pflicht, dafür zu sorgen, dass das Kind im heiligen katholischen Glauben unterrichtet und erzogen wird. Sollten aber die Eltern aus irgendeinem Grunde dieser Pflicht nicht machkommen, so haben Sie als katholische Paten nach der Vorschrift der Kirche hier Elternstelle zu vertreten, wenn nicht andere in gewissenhafter Weise die Sorge für das ewige Heil des Kindes übernehmen. Sie sind sogar zu diesem Kinde, für das Sie soeben das Glaubensbekenntnis abgelegt haben, in ein besonderes, inniges Verhältnis getreten, das ein Ehehindernis zwischen Ihnen und dem Kinde begründet. Möge das Kind das weiße Kleid der Taufunschuld durch die Gnade Gottes und die Sorge der Eltern und Ihre Sorge stets bewahren. Möge diese heilige Handlung uns alle wieder erinnern an die Pflichten, die wir selbst bei dem Empfange der heiligen Taufe übernommen haben. Amen:"
In früherer Zeit mußte für die Taufe eine Gebühr in Höhe von 1/2 bis 1 Taler entrichtet werden, und zwar an den Küster; dies war bis zum Ersten Weltkrieg noch Bestandteil seines Entgeltes.
Die Taufkerze wurde von den Eltern sorgfältig aufbewahrt; sie diente später als Kommunionkerze. Zum Andenken an den Empfang der hl. Sakramente wurden sie wohl ausnahmslos bis ans Lebensende aufbewahrt, wenn sie nicht zwischenzeitlich an eigene Kinder weitergegeben wurden als Tauf- oder Kommunionkerze. Sie hatte hier einen ähnlichen Rang wie das Taufkleid, das oftmals von mehreren Generationen benutzt wurde. Dies war keine Frage der Sparsamkeit, sondern der Achtung vor den kirchlichen Sakramenten.
Im Lüdinghauser Raum wurde der Taufgang gleichzeitig dazu genutzt, Weihwasser („Wiehwater") aus der Kirche mit nach Hause zu nehmen, wo es in die Weihwasser-Gefäße („Wiehwaters-Pöttken") gefüllt wurde.
Während des Kirche- und Taufganges hatten Nachbarn oder Verwandte das Essen in der Küche vorbereitet; der jungen Mutter wurde es ans Bett gebracht (sie mußte ja neun Tage streng liegen).
Die Wöchnerin trug am Tauftag ihres Kindes kein besonderes Kleid; sie war, wie auch an den übrigen Tagen, mit einer Leinen-Nachtjacke mit Spitze oder Rüschen angetan. Der Vater jedoch, der das Kind zur Taufe begleitete, tat dies in seinem schwarzen Sonntagsanzug oder dem sog. Gehrock; immer zog er sein „Bestes" an.
Der Name
Das Neugeborene erhielt in früherer Zeit meistens den Vornamen des Vaters, Großvaters oder Tagesheiligen, evtl. in Verbindung mit dem Vornamen des Paten. Orientiert hat man sich im übrigen auch an der Allerheiligen-Litanei oder dem Patron der jeweiligen Kirchengemeinde. So kamen Doppel-Namen zustande (oft auch drei und mehr Vornamen): z. B. Theodor-Hermann, Hermann-Josef, Johann-Heinrich. Als Rufname wurde jedoch meist nur ein Vorname gebraucht. Am gebräuchlichsten waren bis zum Zweiten Weltkriege und auch einige Zeit danach (bis etwa Mitte der 50er Jahre) z. B.: Heinrich, Bernhard, Theodor, Paul, Anton, Josef, Hubert, Franz, Ludger, Wilhelm usw. sowie Bernhardine (auch mit „a" am Ende - gerufen „Dina"), Maria, Anna, Elisabeth, Agnes usw.
Heimkehr von der Taufe
Bei der ländlichen Bevölkerung fuhr man im allgemeinen nach der Taufe nicht gleich nach Hause, sondern kehrte erst in der Wirtschaft ein, die auch sonntäglich besucht wurde („de Stiär, de angoahn wöer" - „die Stelle, die angegangen wurde"). Dabei konnte es sich auch um eine private Familie handeln." Hier legte man den Säugling in Kissen auf zwei Stühle oder in einen großen Sessel und feierte schon ein wenig vorab die Taufe. Das Kind erhielt - wenn es nötig war - ein Zuckerläppchen in den Mund (damit es ruhig war); dies war ein sehr dünnes, sauberes Läppchen (evtl. auch ein sog. Strunzläppchen oder -tüchlein), was man fest um ein Stück Zucker wickelte. Dieses Zuckerläppchen nannte man „Zuckerpluodden" (Lappen). Manchmal wurde das Kind auch mit einem „Schnapspluodden" durch das Gesicht „gewaschen". Oder: Es bekam ein „Häppken" („Schnuller"). Wenn das „Häppken" nicht mehr „schmeckte", wurde es in Zucker getan - dann „schmeckte" es wieder. Wenn die Einkehr in einer Gastwirtschaft stattfand, war es Aufgabe der Paten, die Kasten für diese „Taufzech" zu übernehmen - zum Mittagessen selbst war man wieder zu Hause.
Es war unterschiedlich, wer das Kind ins Haus trug: Mal war es die „Soltmoer'",mal die Paten oder die Nachbarn - eine feste Regel gab es hierfür nicht. Dann wurde es (nachdem ihm das Taufkleid angezogen worden war) der Mutter mit den Worten übergeben: „Hier hes dein Engelken!' („Hier hast du dein Engelchen') oder: „Met'n Heiden gongen wi wegg met'n Christen kumm wi wier!" ("Mit einem Heiden gingen wir weg, mit einem Christen kommen wir wieder") - so im Südteil des Krs. Coesfeld noch bis Mitte der 50er Jahre.
Während der Mittagsmahlzeit oder während des Kaffeetrinkens - je nachdem, wann die Taufe in der Kirche gewesen war - wurde das Kind von Arm zu Arm gereicht; dabei ging auch ein Teller mit, auf den jeder meistens ein Markstück legte. Was so zusammenkam, wurde „auf das Sparbuch des Kindes gebracht".
Die festliche Mahlzeit (nicht nur bei der Taufe, sondern auch bei der Erstkommunion, der Hochzeit usw.) bestand immer aus einer kräftigen Suppe mit Fleisch und Nudeleinlage, ferner Salzkartoffeln sowie Rind- und Schweinefleischbraten, Möhren und Erbsen, schließlich auch Kompott oder Pudding als Nachspeise.
Kinderwiege und -wagen
Bis zum Ersten Weltkrieg war die Kinderwiege aus Holz wert verbreitet; sie fehlte in keinem Hause. Heute hält sie hier und dort wieder Einzug - aus Gründen der Nostalgie. Die Kinderwiege war vom Dorfschreiner gemacht und hatte die Form einer „konischen Kiste". Vorn und hinten waren die „Waigenfoet" ("Wiegenfüße"), wie beim Schaukelstuhl; eine farbliche Gestaltung war im Kreis Coesfeld nicht bekannt. Leicht konnte die Mutter mit einer sachten Fußbewegung auf den Wiegenfuß die Wiege schaukeln und dabei gleichzeitig andere Arbeiten im Sitzen verrichten, z. B. stricken, Kartoffeln schälen usw. Von innen war die Wiege mit Tüchern ausgekleidet, das Kopfteil auch mit einer Gardine versehen, hergestellt entweder aus dem gleichen Stoff, aus dem auch die normalen Gardinen im Hause waren - oder auch schon mal aus dem Brautschleier der Mutter; so konnten Riegen, Mücken o. ä. das Kleinkind nicht belästigen. Auf dem Wiegenboden war eine Matratze mit Seegras oder Roßhaar eingelegt.
Der Platz der Wiege war dort, wo es warm war, d. h. in der Küche, dem Arbeitsbereich der Hausfrau, oder in der „guten Stube" (wenn sie im Winter geheizt war). Des Nachts blieb das Kind nicht in der Wiege, sondern wurde mit ins Bett, das sog. 1 1/2-schläfige Ehebett genommen. Der Grund hierfür war, dass Zentralheizung bis zum Zweiten Weltkrieg bei der ländlichen Bevölkerung so gut wie unbekannt war und es dadurch zur Winterszeit in den Häusern bei der bekannten Bauweise (zumeist Fachwerk mit 1/2 Stein) recht kalt war. Bei besonders grimmiger Kälte war der Rauhreif gar an der Innenseite, z. B. der Schlafzimmerwände, auf den Tapeten zu sehen.
Zusätzlich zu der Kinderwiege (im engeren Coesfelder Raum) gab es den sog. „Kuorfwagen" („Korbwagen") auf großen Holzrädern (mit 20-30 cm Durchmesser), entweder aus Korbware geflochten oder aus Holz gefertigt. Diesen Korbwagen gibt es auch heute noch (oder wieder). Er diente dazu, das Kind im Haus von einem Raum zum anderen zu fahren; er war nicht für draußen gedacht.
„Kinnerwaige" (Kinderwiege) und „Kuorfwagen" (Korbwagen) waren also für das Haus gedacht, wobei die Wiege einen bestimmten festen Platz hatte. Um die Jahrhundertwende kam dann der Kinderwagen auf, ebenfalls auf hohen Rädern (diese jedoch aus Metall) mit einem Durchmesser von 40-50 cm; mit ihm konnte das Kind auch draußen gefahren werden. In ländlichen Bereichen (von der engeren Dorflage abgesehen) war es bis zum Ersten Weltkriege nicht üblich, mit diesem Kinderwagen spazierenzufahren. Eltern, die es trotzdem taten, wurden zuweilen als „Tömiggängers" („Müßiggänger") bezeichnet.
Das Kleinkind blieb in der Wiege, dem Korb- bzw. Kinderwagen, bis es laufen konnte.
„Aussegnung" - Muttersegen
Die Bezeichnung „Aussegnung" war zwar unpassend - zumal im Ritus (ab 1931) das Wort „Reinigung" nicht vorkommt -, trotzdem aber allgemein gebräuchlich. Dieser kirchliche Brauch hat seinen Ursprung in der alttestamentlichen Vorstellung, dass eine Wöchnerin „unrein" sei.
Nach kirchlicher Vorschrift durfte die Wöchnerin erst nach sechs Wochen oder am 41. Tag das Haus wieder verlassen, d. h. ihr erster Weg führte dann zur Kirche, zur sog. „Aussegnung"; sie fand auch werktags statt, und zwar nach der Messe. Vor der Aussegnung in der Kirche durfte die Wöchnerin keinen anderen Besuch machen.
Im vergangenen Jahrhundert erschien die Mutter gemeinsam mit dem Kind zur Aussegnung. Im Ritual hieß es u. a.:
„Wir bitten dich, o Vater aller Menschen, blicke jetzt auf diese deine Dienerin, die sich dir mit ihrem Kind in heiliger Gesinnung darstellt, . . .."
und:
„Werteste, christliche Mutter: Sehr löblich ist es, dass Ihr die ersten Schritte aus Eurer Wohnung in das Haus Gottes machet . . :'°
Im laufe der Zeit verkürzte sich die vorgenannte Frist auf 10-21 Tage. Bemerkenswert ist, dass Mütter unehelicher Kinder nicht ausgesegnet wurden
Die Wöchnerin wurde entweder von der Hebamme oder der nächsten Nachbarsfrau zur Kirche begleitet. Wenn die Wöchnerin aus der Bauerschaft kam, fuhr zumeist der „Föhr-Naober" (Fahr Nachbar) die Wöchnerin mit der Kutsche zur Kirche. Dort wartete sie an einem bestimmten Platz im Turm bzw. in der letzten Bank, während die Begleitung dem Pfarrer in der Sakristei mitteilte: "In de Kiärk sitt Frau N. un wocht op dat Uitiägen." ("ln der Kirche sitzt Frau N. und wartet auf das Aussegnen.") Der Pfarrer holte dann die Wöchnerin ab und führte sie zu einem Seitenaltar (Altar der Jungfrau Maria oder der hl. Anna) und nahm dort die Aussegnung vor.
Im Ritus von 1930 hieß es u. a.:
„Christliche Mutter! Sie sind, dem Beispiel der Gottesmutter folgend, zur Kirche gekommen, um Gott zu danken für das Kind, das er Ihnen geschenkt hat; um ihm zu danken für die Erhaltung Ihres Lebens bei den Gefahren und Schmerzen, die Sie bei der Geburt Ihres Kindes mit Gottes Gnade überstanden haben; um den Segen zu empfangen, den die heilige Kirche der christlichen Mutter erteilt. Ich will Sie jetzt hinführen zum Altare Gottes, damit Sie von dort aus diesen Segen und Gottes Gnade mitnehmen in Ihre Familie für sich und die Ihrigen!"
„Treten Sie ein in den Tempel Gottes, beten Sie an den Sohn der seligsten Jungfrau Maria, der Ihnen den Kindersegen verliehen hat:'
„Laßt uns beten! Allmächtiger, ewiger Gott, Du hast durch die Mutterschaft der seligsten Jungfrau Maria die Schmerzen der gläubigen Mütter in Freude verwandelt. Siehe nun auch gnädig herab auf diese Deine Dienerin, die zu Deinem heiligen Tempel zur Danksagung freudig kommt . . :'
Für die Aussegnung nahm die Kirche eine Gebühr von 3-5 Mark.
Wenn die Wöchnerin mit dem Segen der Kirche wieder zu Hause war, gebrauchte man die Redensart: „Se het Utgang hat (holten)!" („Sie hat Ausgang gehabt/gehalten:')
Seit dem 2. Vaticanum ist die Segnung der Mutter und des Vaters (allgemein spricht man vom „Muttersegen") am Schluß des Taufritus vorgesehen (obligatorisch). Außer dem Vater, der früher bei der Taufe zugegen war, ist auch die Mutter - seit Mitte der 60er Jahre - bei der Kindestaufe dabei.
Wenn früher (bis zum Zweiten Weltkrieg) eine Wöchnerin im Wochenbett starb, sagte man von ihr: „Se is foats in'n Hiemmel kuemmen!" („Sie ist gleich in den Himmel gekommen.")
Heinz Rüschenschmidt
(Aus dem Jahrbuch 1987 des Kreises Coesfeld)