Brauchtum : Unsere plattdeutsche Sprache

Die Verkehrs- und Schreibsprache der ,Hanse' hat sich auf ostelbischem Kolonialbodendurch Ausgleich der verschiedenen niederdeutschen Stammesmundartenzu einer über ihnen stehenden mittelniederdeutschen Schriftsprache entwickelt. Sie hat im 14. Jahrh. das Latein als Geschäfts- und Amtssprache abgelöst und warseitdem Aufblühen der Städtehanse unter der Führung Lübecks als nordeuropäische Großverkehrssprache von Brügge bis Riga und von Bergen bis Nowgorod in Gebrauch!' So heißt es in dem 1983 erschienenen umfangreichen (800 Seiten) Handbuch zur niederdeutschen Sprach- und Literaturwissenschaft. Unser Platt hat also Geschichte; es ist rund eintausend Jahre alt und hat sich aus der altsächsischen Sprache entwickelt, die auch die Angelsachsen mitgenommen haben, als sie England eroberten. Daher die enge Verwandtschaft unserer plattdeutschen Sprache mit der englischen.

Die älteste uns bekannte niederdeutsche Dichtung ist der"Heliand", das berühmte Epos vom Leben Jesu in altniederdeutschef Sprache, das im Aufrtrage Ludwigs des Frommen (778 - 840) die Heilsgeschichte in der "Volkssprache" getsalten sollte. Es entstand in der zeit von 822 bis 840. Unsere niederdeutsche Sprache ist also über eintausend Jahre alt und hat mancherlei Wandlungen durchgemacht; sie ist weniger ein "Dialekt", d. h.eine stammesbezogene Abwandlung der hochdeutschen Sprache oder auch eine "Mundart`, sondern sie ist eine alte Literatursprache, die im gesamten altsächsischen Siedlungsraum gesprochen und geschrieben wurde. Das berühmte, farbig illustrierte, 1222 entstandene Gesetzbuch "Sachsenspiegel" ist ebenfalls in der niederdeutschen Sprache geschrieben und war für 300 Jahre maßgebend für die Schriftsprache des gesamten norddeutschen Raumes. So wie heute die englische Sprache Weltsprache ist, so war es die niederdeutsche Sprache viele Jahrhunderte im gesamten Handelsbereich der Hanse.

Mit dem allmählichen Verfall der Hanse, dieses großen europäischen wirtschaftlichen Interessenverbandes der Städte, verfiel auch die Einheitlichkeit der niederdeutschen Sprache als überregionale Schriftsprache. Das wachsende Nationalitätenbewußtsein tat ein Übriges. Mit der Ausbreitung der Reformation und der zunehmenden Verbreitung der von Luther ins Hochdeutsche übersetzten Bibel, kam die niederdeutsche Sprache mehr und mehr und mehr ins Hintertreffen. Die evangelischen Priester im norddeutschen Raum bemühten sich entsprechend dem Aufrage Luthers, "den Leuten aufs Maul zu schauen", ihre Predigte und Teile des Gottesdienstes noch in plattdeutscher Sprache zu halten. Aber Hochdeutsch wurde um die Mitte des 16. Jahrhunderts Kanzleisprache und drängte die niederdeutsche Sprach mehr und mehr zurück Nur auf dem Lande wurde noch durchgehend Platt gesprochen, das Bürgertum aber übernahm im 19. Jahrhundert auch die Hochsprache. Nach und nach galt das Platt sprechen als unfein und ungebildet. Nur Handwerker und Bauern sprachen untereinander noch ihr altes schöne Platt, Dies ist auch bis zum 2. Weltkrieg noch so geblieben, wenngleich auch einig weitere Einbrüche zu verzeichnen waren.

In der Kirche gehen erst im 17. Jahrhundert die Sprache der Verkündigung und der Predigt, in der Schule die Unterrichtssprache und die Sprache der Schulbücher allmählich zum Hochdeutschen über! (Handbuch a.a.O.) Dieser Übergang ist um die Mitte des 17. Jahrhunderts im wesentlichen abgeschlossen. Soweit noch "Reste" vorhanden, halfen bei uns die Preußen Anfang des 19. Jahrhunderts mit Geboten und Verboten nach.

Bis zum 1. Weltkrieg kamen hier auf dem Lande die Kinder ausschließlich mit Plattdeutsch in die Schule und lernten hier in verhältnismäßig kurzer Zeit die hochdeutsche Sprache. Das bedeutet also, daß die Eltern noch mit ihren Kindern Platt sprachen. Nach und nach aber setzte sich die falsche Auffassung durch, daß das Kind in der Schule Nachteile habe, wenn es nicht vorher schon Hochdeutsch gelernt habe und manche Eltern "radebrechten" Hochdeutsch mit ihren Kindern. Der Prozeß des Verfalls unser plattdeutschen Sprache setzte sich fort bis heute, wo nach einer neueren Untersuchung im Kreis Borken noch in etwa 10 % der Familien auf dem Lande PIatt gesprochen wird, in den Kleinstädte noch 1 - 2 %.

Dieser traurigen Feststellung steht ein erfreulicher Tatbestand gegenüber: Die "Wiederentdeckung der plattdeutschen Sprache". Sie hat eine tiefe Wurzel in der plattdeutschen Literatur: Klaus Groth (Gedichtsammlung "Quickborn"), Fritz Reuter, Friedrich-Wilhelm Grimme, Karl Wagenfeld, Augustin Wibbelt, Anton Aulke, um nur einige zu nennen. Sie machten die plattdeutsche Sprache wieder "salonfähig". Im kirchlichen Bereich begann der "Neuaufbruch" mit dem "Platdüüts Beädbookför katholske Christen van de Kerk toolooten", herausgegeben von Hermann Wehling-Schücking und Prof. Theodor Bader in Eper Platt. (Ich konnte soeben noch 50 Exemplare dieser literarischen Kostbarkeit aus dem Verlagsrest erwerben und zur großen Freude der interessierten Empfänger im Münsterland - besonders in Epe -verteilen.)

Wir haben allen Grund, unsere plattdeutsche Sprache zu erhalten und zu fördern. Seit Jahrhunderten hat die plattdeutsche Sprache das Hochdeutsch befruchtet und gespeist, was wir besonders deutlich an den Werken von Annette von Droste Hülshoff erkennen, die Plattdeutsch sprach und Hochdeutsch dichtete. Viele Ausdrücke und Wortwendungen hat sie aus der plattdeutschen Sprache entlehnt, einer Sprache mit "Herz und Gemüht".

Auf die Widerentdeckung der plattdeutschen Sprache durch die Schriftsteller folgte nach dem 2. Weltkrieg (etwa 1950) die Gründung zahlreicher "plattdeutscher Sprachvereine", "Kringe" und "Paolbörgerschoppen" im gesamten Niederdeutschen Sprachbereich in der klaren Erkenntnis, daß die Sprache wieder täglich gesprochen werden muß, um sie zu erhalten. So schreibt Dr. Gustav Merten (Ascheberg/Münster), der Begründer des Münsterschen "Plattdüütschken Binnenkrinks" (1952) in seiner umfangreichen Denkschrift (von 27 bekannten Persönlichkeiten unterzeichnet) unter anderem folgendes:

Patt met plattdüütske Böök, Opsäts un Spielldiälen, mit plattdüütske Leeder un Dänße, met plattdüütske Sprüekkskes un Inschriften, met Wäörbööker un Grammatiken alleen lött sik de Spraok nich retten.All düsse Dinge küönnt blooß Hölpen sfin to dat, wo t op ankümmp, op t alldägglike Plattspriäkken.

Auch der 1975 gegründete Arbeitskreis "Mundart und Völkskunde" im Kreisheimatverein Coesfeld folgt dieser Erkenntnis und spricht nur "Platt". Einladungen und Protokolle werden in"Münsterländer Platt" abgefaßt.

Diese große sprachkulturelle Aufgabe, nämlich unser Platt zu erhalten und un der Bevölkerung wieder lebendig und beliebt zu machen, ist "des Schweißes der Edlen wert" (Klapstockk),



Bernard Rothers



(Aus dem Jahrbuch 1985 des Kreies Cosefeld)