Pfingstbrauchtum

Pingstebrut, Pingsteblom, Pingstevoß.

Der Pastor Nagel zu Herbem hatte sich u.a. folgende Anklage notiert, um sie beim Sendgerichl vorzubringen:

1737 am Pfingsttage habe die Mälkenmägde und die Pingstebrut auf dem Kirchhofe vor dem Kreute öffentlich getanzt; Musizi Franz Speckenhauer und Goswin Pohle.

In Ascheberg gab es eine Gemineschaftsweide für die Kühe der Dorfbewohner. Jeden Morgen gingen die Frauen, die sie an einem Joch trugen, zu Fuß zur Weide, um die Kühe zu melken. Wer am Pfingsttage als letzte zur Weide kam, war die Pingstbrut. Sie wurde gefeiert, mußte aber auch für die Getränke usw. sorgen. Jostes berichtet in seinem "Westfälischen Trachtenbcuch" darüber, daß die Pfingstbraut von einem kleinen Mädchen dargestellt wurde. Es wurde wie eine Braut gekleidet und trug ein Krönchen. Daher nannte man das Mädchen an diesem Tage Pfingstkrönchen. Man machte einen Baldachin mit Bändern und Blumen geschmückt, unter dem das Mädchen ging, und so zog man von Haus zu Haus und sang dabei ein bestimmtes Lied. Überall bekamen die Kinder Süßigkeit und alles was ein Kinderherz erfreut.

In Havixbeck gibt es noch heute den Brauch der Pingstebloom, der von den Schulkindern jährlich am ersten Pfingsttag ausgeübt wird.

In Capelle gab es noch bis vor kurzem den Brauch des Bekränzens von Vieh am Pfingsttage, an dem sich die heranwachsende Jugend betätigte.

Es ist also festzustellen, daß es im gesamten Kreis Coesfeld diesen Pfingstbrauch gab, wenn auch in verschiedenen Formen und Abwandlungen. Man fragt sich daher, welchen Ursprung dieser Brauch hat.

Wir können uns heute kaum noch vorstellen, daß vor etwa 200 Jahren noch mehr als die Hälfte des Grund und Bodens "Gemeinheitsfläche" war. Die Davert wurde 1841 aufgeteilt und den Berechtigten entsprechend dem Umfang ihres Rechtes als Eigentum zugewiesen. Überall wurden die Gemeinheitsflächen (Mark, Allmende) gemeinschaftlich genutzt, in dem dort das Vieh eingetrieben wurde. Die Hüter des Viehes, meistjunge kräftige Burschen, hatten als"Kauhaiers" die Aufgabe, das Vieh, das morgens, wenn das Tutehorn des Hirten ertönte, aus den Ställen gelassen wurde, zu sammeln und gemeinsam auf das Hudefeld oder in den Hudewald zu treiben und dort natürlich zu hüten. Der "Sueggjunge', der gchweinehirt, hafte die gleiche Aufgabe. Der Verdienst der Hirten war außerordentlich kärglich für die nicht immer angenehme Arbeit, bei jedem Wetter Tag für Tag, morgens früh das Vieh zu sammeln und auszutreiben und den ganzen Tag draußen beim Vieh zu verweilen. Darum wurde den Hirten am Pfingsttage ein "guter Tag" gewährt.

Hier beginnt nun der Pfingstbrauch: was ursprünglich ein Betteln der Hirten bei den Eigentümern des von ihnen jeweils ausgetriebenen Viehs um Nahrungsmittel und einige Pfennige war, wurde später zu einem beliebten Frühlingsfest, das sich im Lauf der Jahrhunderte in den einzelnen Ortschaften unterschiedlich entwickelte. Den früher sehr armen Hirten ging es später wirtschaftlich wohl nicht mehr so schlecht, so daß sie für sich nicht mehr zu betteln brauchten und sich wohl auch des Bettelns schämten. Daher wurde dieser Brauch vielerorts zu einem Heischebrauch der Kinder. Fast alle Heischebräuche der Kinder waren ursprünglich Bettelaktionen der "Armen` bei den "Reichen", die ihnen zu bestimmten Zeiten zustanden. Soweit in manchen Ortschaften Erwachsene weiterhin von Haus zu Haus gingen, um sich Gaben zu erbitten, taten sie es nicht aus Armut, sondern um ein Fest zu feiern; dessen brauchte man sich nicht zu schämen.

Der päpstliche Gesandte beim Westfälischen Frieden, Fabio Chigi, der als Alexander VII. später selbst den päpstlichen Thron bestieg, hat die Verhältnisse hier in den Ortschaften in seinem Bericht treffend geschildert:



"Oftmals strotzen vom dickesten Drecke die Steige der Straßen,

Und zu Haufen getürmt raucht an den Seiten der Mist.

Haust ja zusammen im selben Gebäude der Mensch mit den Kühen

Und mit dem stinkigen Bock wie mit dem borstigen Schwein.

Wenn dan der tag sich erhebt, um die Schatten der Nacht zu verscheuchen,

Ruft mit dem Horn bereits feldwärts der Hirte das Vieh;

Und noch ehe geschwunden das letzte Dämmern des Abends,

Leitet er jegliches Schwein heim zu dem richtigen Stall.

Wunderbar, ist es zu schauen, wie truppenweise zur Stadt sie

Laufen und weiter zum Stall, jegliches kundig des Wegs.

Wohlgefälliges Grunzen der Schar zeigt. daß sie zufrieden,

Über die Tenne im Sprung geht's in die Läger hinein!"



So wie bei einem Schützenfest einer König sein muß (es muß nicht unbedingt der beste Schütze sein), damit das Fest eine gewisse Struktur, einen"Mittelpunkt" erhält, so war und ist es auch bei dem Pfingstbrauch:

Eine Pingstebrut, Pingstbloom, ein Pfingstkrönchen oder wie sie auch immer heißen mochten, mußte sein und sie wurden auf irgendeine besondere Art und Weise gekürt. Ursprünglich hing dies meist mit Frühaufstehen, mit Pünktlichkeit und Arbeitseifer zusammen. Wer also von den Kauhaiers am Pfingstmorgen als letzter mit seiner Herde die Dorfstraße passierte, war Pfingstkönig. Er wurde den ganzen Tag gefeiert. Stellenweise nannte man den Pfingstkönig auch "Beddebuck" oder "Berrebuck", weil er nicht aus dem Bett (Bedde) konnte und daher als letzter austrieb. Die hauptsächliche Arbeit an diesem Tage war der Heischeumzug bei allen Dorfbewohnern, um Eier, Würste und Speck zu sammeln. Am Abend ab es dann Eierpfannkuchen mit Speck.

Bei dem Heischeumzug wurde auch vielfach das Lettier festlich geschmückt und mitgeführt. Er bekam dann bei allen Bewohnern zusätzlich ein buntes Band als Schmuck, so daß der Pfingstochse über und über mit bunten Bändern und frischem Laub geschmückt war. Daher stammt die Redewendung "Du siehst aus wie ein Pfingstochse", wenn sich jemand außergewöhnlich farbig angezogen hat.

In Ascheberg trieb man noch bis nach dem 2. Weltkrieg die Kühe auf die Gemeinschaftsweide, wo es den ganzen Sommer verblieb. Die Frauen des Dorfes mußten morgens und abends mit ihren Eimern, die sie an einem Joch trugen, zu Fuß über den Melkpatt zur Melkweide. Wer am Pfingsttage als letzte zur Melkweide kam, war die Pingstebrut (Pfingstbraut). Sie wurde an dem Tag als eine Art Königin gefeiert, mußte aber für Getränke und der gleichen sorgen.

In Havixbeck ist dieser Brauch im Laufe der Jahrhunderte auch zu einem Heischebrauch der Kinder geworden, der auch heute noch besteht. Am Pfingsttage nach dem Hochamt treffen sich die Schulkinder am Hause des Hauptmannes, den sie einige Tage vorher aus den Schülern der Hauptschul-Oberklasse gewählt haben und dem man einen weiteren Schüler als Assistenten beigegeben hatte. Die sorgfältig in einem Karton aufbewahrten Utensilien wie Säbel, Fahnen, Helme mit Papierbusch werden ausgegeben, damit sich alle entsprechend ausstatten können. Ein großer Korb wird mit Efeu (Eierlaub oder Eilaub) geschmückt, damit er für den Empfang der Gaben mitgeführt werden kann.

Nach dem Hochamt setzt sich nun der Zug vom Hause des Hauptmannes aus in Bewegung und besucht alle Häuser des Dorfes. Vor jedem Haus wird das im ganzen Nord-West-Münsterland bekannte Lied gesungen:



Pingstebloomn, du fuhle Hohn

Wörs du eher upstaohn

Wörs du met nao Coesfeld gaohn

Coesfeld was toschluotten

De Schlüettel was tebruocken

We här dat daohn

De Wiäwer up'n Taorn (Walkenbrücker Tor)

Willtt,n daut schlaohn

Laot'n no n' biettken liäwen

He kann so maodig wiäwen

Leggt'n up dat Spindfatt (1 1/4 Scheffel)

Haut ein wat met de Pann fört Gatt

He dat, wat klappert dat.



Während des Singens erscheint dann die Frau des Hauses in der Haustür und hält ihre Hände auf dem Rücken. Sie wird dann offiziell vom Hauptmann gefragt:

"Frau, häft Maihöhnken auk Eier leggt". Die Frau legt dann die von ihr spendierten Eier in den geschmückten Korb. "Früher", so erzählt Pastor Schleiner in Venne, der aus Havixbeck stammt und in seiner Jugend die Bräuche mitvollzogen hat, "wurde ein Mädchen mit Birkenzweigen geschmückt; sie war dann die Pingstebloom. In Dülmen nennt man die so Geschmückte Pingstebrut. Der Anfang des Liedes heißt hier entsprechend: Pingstebrut, du fuhle Hut

Es wird vermutet, daß das Schmücken eines Mädchens mit Malen aus einem anderen Brauch stammt, bei dem ein Junge vor dem Fenster eines von ihm geliebten Mädchens am Pfingsttage einen Maibaum aufsteckt, wo dann das Mädchen ihre Zuneigung oder auch das gegenteil durch ein bestimmtes Zeichen zum Ausdruck bringt. Im Lied "der Winter ist vergangen" heißt es um 1600:



Ich geh den Mai zu hausen

hin durch das grüne Gras,

schenk meinem Buhl die Treue,

die mir die Liebste was.

Und ruf, daß sie mag kommen,

wohl an dem Fenster stan,

empfangen den Mai mit Blumen.

Er ist gar wohl getan.



Auch in Havixbeck kommt bei dem Liedi noch ein anderer Brauch zum Ausdruck, nämlich die Pfingstwallfahrt zum heiligen Kreuz nach Coesfeld. Pfingsten machten nämlich alle Dörfer rings um Coesfeld eine Kreuzwallfahrt. Sie mußten zum Teil sehr früh aufstehen, da sie zu Fuß den weiten Weg zurücklegen mußten, Havixbeck 22 km. Gelegentlich aber war das Walkenbrücker Tor noch verschlossen. Daher die zornigen Spottverse der Wallfahrer auf den Torhüter in dem Lied (Wiärmer gleich Walker am Walkenbrükker Tor). Sogar die Bevölkerung von Epe machte ihre Fußwallfahrt zum Coesfelder Kreuz und kannte auch das gleiche Pingstebloom-Lied. Nach dem Eiersammeln kam der Höhepunkt. Man zog zum Haus des Hauptmannes und sang dabei das Lied:

Moder, Moder de Pann up't Füer

de Pingstebloom, de ist de wier

Die Mutter des Hauptmannes hatte alle Hände voll zu tun den hungrigen Kindern unter Verwendung der gesammelten Eier ein Mittagessen zu bereiten. Die Kleinen bekamen zusätzlich Süßigkeiten, das Geld dafür, hatte man in gleicher Weise in den Gaststätten bei den Gästen gesammelt. Auch Fruchtsaftgetränke wurden und werden dafür gekauft.

Am Nachmittag nach der Pfingstandacht wurde Räuber und Schanditt gespielt in der Kibitzheide. Dieses Spile wird sorgfältig vorbereitet vom Hauptmann und seinem Assistenten. Jeder der beiden Führer versammelt um sich eine Gruppe mit je einer rot-weißen Feldfahne und dann ging das Spiel los bis sie müde am abend nach Hause zurückkehren.

Der Brauch, das Vieh am Pfingsttage zu schmücken, war hier in unserem Kreis noch bis in die jüngste Zeit hinein lebendig. Die Schülerin Dorothee Stattmann aus Nordkirchen, Altendorf, ließ mir folgenden Bericht über Pfingstbrauchtum in Capelle zukommen, dem die Erzählung ihres Großvaters Bernhard Stattmann (geb. 6.5.1895) zugrunde liegt. Am Pfingsttage wird in Capelle der größte Bulle, die beste Kuh und das beste Pferd bekränzt. Am Pfingstsamstag werden die Vorbereitungen getroffen. Es müssen Kränze aus Eichenlaub oder Tannenzweigen geflochten werden, um damit die Tiere zu schmücken. Unangenehm war aber, daß die Kränze mit Kuhdreck eingerieben werden mußten, damit die übrigen Tiere den Kranz nicht abfraßen.

Am Abend kam der eigentliche Höhepunkt. Die Mädchen mußten das beste Pferd, die Jungen die beste Kuh und, falls sie das schafften, den besten Bullen krönen. Da sonst die Mädchen Kühe und Bullen versorgten und die Jungen die Pferde, waren diejenigen ja nicht mit den Tieren vertraut, was das Kränzen erheblich erschwerte. Die beiden Gruppen stellten auch Wachen und Spitzel auf, damit das Kränzen schwieriger werden sollte, denn der Verlierer hatte dem Gewinner Likör oder Schnaps auszugeben. Die Jungen krönten meist zuerst die Kuh, die aber oft genug in einem Stall versteckt wurde, so daß sie erst überall suchen mußten zum Vergnügen der Mädchen. Wenn die Kuh fertig war, wagten die Burschen sich an den Bullen, der in der Weide umherlief.

Die Kämpfe mit dem Bullen waren nicht gerade ungefährlich, aber die Jungen waren zu mehreren und hielten den Bullen am Schwanz und an den Hörnern fest, das bot oftmals ein vergnügliches Bild. Manchmal ereigneten sich die reinsten Rodeos. Die Schaulustigen aber hatten im Gegensatz zu den Stierkämpfen genug zu lachen!

Die Kinder der Bauersleute kränzten oft auch nachts das elterliche Bett, ohne das diese es bemerken durften (oder sie taten wenigstens so, um den Kindern den Spaß zu gönnen). Am nächsten Morgen freuten sich die Kinder dann diebisch, denn die Eltern als Verlierer mußten ihnen etwas geben, so wie es bei den jungen Leuten auch der Fall war. Diese veranstalteten dann am nächsten Abend, dem des Pfingstsonntages, ein Fest an dem Gewinner und Verlierer gleichermaßen teilnahmen. Es ging hoch her und man konnte fast immer jemanden mit dem "Treckörgel", einer Ziehharmonika, oder einer Mundharmonika antreffen, der zum Tanz aufspielte. So waren also alle vergnügt bis um Mitternacht. Dann kamen Bauer und Bäuerin und tanzten ein Lied mit. Nach diesem Tanz war das Fest zu Ende. Soweit der Bericht von Dorothee Stattmann.

Bräuche ändern sich und sind je nach den Verhältnissen und Landschaften unterschiedlich. Viele haben ihren ursprünglichen Sinn verloren, werden aber noch beibehalten,weil es Freude macht und sie haben einen Gemeinschaftsfördernde Sinn.



Berhard Rothers



(Aus dem Jahrbuch 1985 des Kreises Coesfeld)