8. Die Beerdigung

Am Beerdigungsmorgen kam der Schreiner und nagelte den Sarg zu; die Anwesenden, die in den Minuten vorher vom Toten Abschied genommen hatten, beteten derweil drei Vaterunser und Gegrüßet-seist-Du-Maria. An manchen Orten wurde der Sarg aber noch nicht sofort geschlossen, sondern zunächst aus dem "guten Zimmer` hinausgetragen und beim Herdfeuer kurz abgesetzt, dann auf die Tenne gebracht, wo die Anwesenden den Toten ein letztes Mal sehen und sich von ihm verabschieden konnten. Das Absetzen. vor dem Herdfeuer und auf der Tenne sollte auch bedeuten, daß auch der Tote sich verabschieden sollte (beim Herd von seiner Familie, auf der Tenne von den Tieren).

Die Beerdigung nahm dann auch von der Tenne aus ihren Weg, und zwar wurde der Tote im Sarg mit den Fußenden vorne herausgetragen. Dieser Brauch wird auch als Abwehrzauber interpretiert: der Tote soll nicht als Miedergänger' zurückkommen. Ein drittes Mal wurde der Sarg vor dem Tennentor abgesetzt; so sollte sich der Tote vom Grund und Boden der Väter, auf dem er sein ganzes Leben zugebracht und gearbeitet hatte, verabschieden.

Die Teilnahme an der Beerdigung - in der Regel um 8 oder 9 Uhr, im Winter etwas später - war eine wichtige Sache, weil damit die familiäre oder verwandtschaftliche Zusammengehörigkeit zum Ausdruck gebracht wurde. Daher war es selbstverständlich, daß auch Cousinen und Vettern, sogar Nichten und Neffen kamen. Die engere und weitere Nachbarschaft gehörte ebenso selbstverständlich dazu.

Als es noch keinen Leichenwagen gab (diese wurden zumeist vor oder nach dem Ersten Weltkrieg angeschafft), wurde der Sarg auf einem mit Tannengrün geschmückten Ackerwagen zum Friedhof gefahren. Dieser Flachwagen wurde „Sackringstenwagen" oder „Müell'nwagen" genannt. Die „Ringsten" war ein Holzrahmengestell mit starken (ca. 1 cm dicken) Latten/Brettern. In Verbindung mit Sack' bedeutete dies, daß auf einem solchen „Sackringstenwagen" auch gut Säcke gefahren werden konnten (z. B. Kornsäcke zur Mühle); auch das Getreide auf dem Halm wurde damit vom Acker eingefahren. „Müell" - das ist die Bezeichnung für die Getreidemühle, die damals noch in allen Dörfern vertreten war. Mit dem „Müell'nwagen" konnte das Getreide also in Säcken zur Mühle und das Mehl wieder nach Hause gefahren werden.

Der Flachwagen wurde immer von schwarzen Pferden gezogen, wenn es sie nicht gab, wurden die Pferde mit einem großen schwarzen Tuch bedeckt. Unter den Pferden durfte keine tragende Stute sein.

Eine Besonderheit gab es - soweit feststellbar - in Seppenrade: Beim Seelenamt in der Kirche (vor der Beerdigung) blieb der Sarg draußen auf dem „Ringstenwagen" oder Leichenwagen, während in der Kirche die sog. Rast' aufgebaut wurde. Hierbei handelte es sich um ein im vorderen Altarraum aufgebautes Sarg-Oberteil mit schwarzem Tuch, eine Tumba - dies sollte den Sarg versinnbildlichen. Diese Rast` wurde seit Menschengedenken aufgebaut; als die Leichenhalle errichtet wurde, war es mit diesem Brauch zu Ende.

Die Verwandten und Nachbarn, die am Leichenzug teilnahmen, trugen schwarze Kleidung: die Männer gingen im Gehrock oder Cut mit Zylinder. Später wurde statt des Gehrocks ein schwarzer Anzug mit Zylinder getragen, wobei jedoch der Zylinder (der ca. 1910 eingeführt worden war) in den siebziger Jahren aus der Mode kam.

Wenn recht viele Menschen an der Beerdigung teilnahmen, so sagte man: "Dat was ne lange Liekl" (Das war eine lange Leiche!) oder: „Dat wass'n anseihnlick Naofolgen!" Auf dem Friedhof trugen die sechs Träger den Sarg, wo sie ihn nach der Ansprache des Pfarrers in die Erde senkten. Träger waren die Nachbarn.

Wer persönlich durch den „Ansegger" oder die „Anseggerin" eingeladen worden war oder durch einen besonderen Hinweis im Totenbrief, ging zum anschließenden Kaffeetrinken. Ganz besonders waren hier jene gemeint, die mit der Kutsche oder der Bahn von außerhalb anreisen mußten. Das Kaffeetrinken wurde von jeher in der Wirtschaft des Dorfes gemacht; in der Regel gab es Streuselkuchen zum Kaffee. Es konnte auch schon mal passieren, daß jemand versehentlich nicht zur Beerdigung bzw. zum Kaffee eingeladen war, aber dann doch bei der Beerdigung zugegen war; dieser wurde an der Kirche oder auf dem Friedhof nachträglich zum Kaffeetrinken eingeladen: „Goh met tau'm Kaffeedrinken in de Wirtschaft B.!" (Komm mit zum Kaffeetrinken in die Wirtschaft B.!). Ein Mittagessen am Begräbnistage ist heute nicht mehr üblich, weil die Beerdigungen in der Regel des Nachmittags stattfinden. Früher wurden zum Mittagessen ins Trauerhaus jene eingeladen, die zur engsten Verwandtschaft gehörten und von außerhalb angereist waren, Die ersten beiden Nachbarn besorgten das Auftragen der Speisen. Üblich war und ist es, daß nach dem Kaffeetrinken am Nachmittag (oder früher nach dem Mittagessen) das frische Grab auf dem Friedhof besucht wurde. Die Friedhofsgärtner ("Daudengräwers") hatten in der Zwischenzeit das Grab mit einem provisorischen Holzkreuz versehen, und auch die Blumen und Kränze waren auf dem Grabhügel niedergelegt worden.

Abschließend sollen noch kurz die sog Sterbebildchen ("Daudensierdel" = Totenzettel) erwähnt werden, die bei einem Opfergang im Seelenamt, nach der Beerdigung am Friedhofstor oder an der Kirche verteilt wurden, wie es auch heute noch fast überall gemacht wird. Das Sterbebildchen, zwei- oder vierseitig, zeigt auf der Vorderseite entweder ein Foto des Toten oder ein Bild der Gottesmutter Maria bzw. des Gekreuzigten, dann folgt ein kurzer Lebenslauf und evtl. ein Gebet für den Toten. Dieser Totenzettel hatte Platz im Gebetbuch.



Als besonders informatives Werk zum Thema sei das Buch von Dr. Peter Löffier: Studien zum Totenbrauchtum, Münster 1975, empfohlen.



Heinz Rüschenschmidt



(Aus dem Jahrbuch 1990 des Kreises Coesfeld)