7. Der Tod

Gerade der Tod ist im Münsterland mit viel Brauchtum, z.T. auch Aberglauben verbunden. So glaubt man, daß sich der Tod z. B. ankündigt durch langgezogenes Hundegebell oder wenn der Hund gegen den Himmel bellt. Ganz besonders gilt dies für das Schreien des Steinkauzes (der Eule); der Steinkauz fliegt gern dorthin, wo mitten in der Nacht noch Licht brennt, z. B. im Zimmer eines Schwerkranken. Viele Sprüche zeugen von der Volkstümlichkeit des Kauzes, z. B. „Kumm mett, Kumm mettl' (Komm mit, komm mitl) oder Kled di witt, et is Tiedl" (Kleide dich (in) Weiß, es ist Zeitl).

Wenn der Kauz, genannt auch der Daudenvuegel' (Totenvogel), in der Nähe des Hauses rief, darin sagte man wohl: De neichste Tied geiht hier einer daut - du Eul het sau schreyt" (In der nächsten Zeit stirbt hier jemand - die Eule hat so geschreit). Als Vorboten des Todes galten z. B. auch folgende Begebenheiten: wenn ein Apfelbaum im Herbst wieder blühte, ein Baum plötzlich dürr wurde oder wenn eine Tür alleine aufging (dann, so meinte man, käme der unsichtbare Tod herein).

Wenn vor dem Ersten Weltkrieg, z.T. auch noch zwischen den Kriegen, jemand so schwer erkrankte, daß mit seinem Tode gerechnet werden mußte, so fuhr der erste Nachbar schnell mit der Kutsche ins Dorf, um den Pfarrer zu holen, damit dieser die Sterbesakramente, die „Letzte Ölung", spendete. Der Küster besorgte einen Meßdiener, während der Pfarrer den Versehgang vorbereitete. Wenn bei diesem Gang Dunkelheit herrschte, so hielt der Meßdiener unterwegs die „Latüchte" (Laterne) aus dem Kutschwagen, um dadurch anzuzeigen, daß die Sterbesakramente zu einem Schwerkranken getragen wurden. Inzwischen zog der Küster das „Pengelglöcksken", damit die Gläubigen erführen, daß der Pfarrer mit den Sakramenten unterwegs war. Dies bezeichnete man als Verseihgang' (Versehgang). Anders als heute (wo man von „Krankensalbung" spricht) galt früher die „Letzte Ölung" als das Sakrament, das man keineswegs ohne Not, sondern praktisch nur im Angesicht des Todes empfangen sollte; es galt beim Volke als Zeichen des Todes. Wenn jemand seine Krankheit, während der er die „Letzte Ölung" erhielt, überlebte, wurde dies als ein Wunder angesehen; denn nach allgemeiner Vorstellung durfte es nach der Letzten Ölung eigentlich nur noch den Tod geben.

Wenn es mit dem Kranken wirklich zu Ende ging, holte man die Nachbarn zum "Dautbiäden' (Totbeten), wobei die erste Nachbarin, die Saoltmoer", die Sterbegebete sprach.

Das Bestellen

Gleich nach dem Todesfall überlegten die Hinterbliebenen mit der ersten Nachbarin gemeinsam, was alles zu tun sei. Sie brachte auch einige Laibe Brot mit, so daß es nicht notwendig war, im Trauerhaus zu backen. Dies wurde wohl aus Gründen der Pietät so gehandhabt, weil man spürte, daß das Brotmachen - also die Herstellung von etwas Neuem - mit der Tatsache, daß unter dem gleichen Dach der Tote aufgebahrt stand, nicht in Einklang zu bringen war.

Es oblag nun dem ersten oder auch dem zweiten Nachbarn, den Toten in der weiteren Nachbarschaft und in der Verwandtschaft anzusagen, „te bestellen'" bei diesem „Bestellen" gab er auch den Zeitpunkt der Beerdigung an und das Lokal, wo hinterher Kaffee getrunken wurde. Dem ersten oder zweiten Nachbarn kam auch die Aufgabe zu, für die sechs Träger zu sorgen.

In Seppenrade gab es über Jahrzehnte (die Kriegs- und Nachkriegszeit bis 1970) eine „Anseggehn", eine Frau, die sich in der Gemeinde gut auskannte und gegen Entgelt das Ansagen des Toten und der Beerdigung übernahm. Wenn sie von Haus zu Haus ging, sagten wohl die Leute: We is dann nu all wier daut?' (Wer ist denn nun schon wieder tot?); einen besonderen „Spruch" sagte sie nicht, wohl aber am Schluß den Hinweis: „Männerverein un Mütterverein extro" (d. h. der/die Tote war Mitglied im genannten Verein); dies bedeutete, daß die betreffenden Vereine mit Fahne zur Beerdigung kamen. Allgemein wurde dieser Zusatz beim "Anseggen" als sehr wichtig angesehen. Durch das Bestellen wurden in der Regel zwischen 50 und 1 00 Familien erreicht.

Auf dem Baumberg zwischen Havixbeck, Nottuln und Billerbeck sagte noch bis in die jüngste Zeit der erste Nachbar (naigste Naober, rechte Naober) den Todesfall persönlich an. Dies gilt auch für die alte Dorflage Nottuln. Dort hatte bis zum Zweiten Weltkrieg die St.-Antoni-Bruderschaft einen eigenen "Boten", der die Mitglieder zu Beerdigungen einlud.

Das Bestellen hatte im übrigen seinen Sinn auch darin, daß in der Pfarrkirche ja nur die Sterbefälle der letzten zwei bis drei Tage genannt werden konnten; denn wenn jemand zwischen Sonntag und Mittwoch starb, war seine Beerdigung schon vor dem nächsten Sonntag gewesen.

Im Zusammenhang mit dem Bestellen müssen auch die sogenannten Totenbriefe gesehen werden: sie kamen vor dem Ersten Weltkrieg auf. Der Grund lag darin, daß Verwandte oder Bekannte durch das „Anseggen" nicht erreicht werden konnten, weil sie z. B. zu weit weg wohnten. Bei zunehmender Mobilität der Bevölkerung wurde der Anteil derer, die durch einen persönlichen Besuch nicht benachrichtigt werden konnten, immer größer. Diese erhielten dann einen "Daudenbreef" (Totenbrief). Heute ist es so, und zwar schon seit einigen Jahrzehnten, daß grundsätzlich Totenbriefe verschickt werden; allerdings bleibt ein Rest persönlich Angesprochener. Diese werden zunächst persönlich (mündlich oder telefonisch) informiert und erhalten dann am Tage darauf zusätzlich noch den Totenbrief.

Das Einsargen und Aufbahren

Vor dem Ersten Weltkrieg übernahm der erste Nachbar das Einkleiden der Leiche, später kam auch des öfteren eine Schwester aus dem örtlichen Krankenhaus oder der Schreiner, der den Sarg lieferte und gleichzeitig „dat Insargen" (das Einsargen) besorgte. Auch gab es vielerorts die „Liekenfrau" (Leichenfrau), die den Toten wusch und einsargte.

Nach dem Waschen wurde der Tote mit dem weißen Totenhemd bekleidet, das zumeist vom Sarghändler mitgeliefert wurde. In Werne gab es zwischen den Kriegen das sog, „Siepenmännken", ein altes, hutzeliges Männchen mit einer dunklen ledernen Dreieckstasche (ähnlich dem gelben Hebammenköfferchen), der das Waschen, Einkleiden und Einsargen der Leiche übernahm. Weil er für das Waschen Seife (Siepe, Seip) brauchte, nannte man ihn das "Siepenmännken".

Zwischen den Kriegen noch war es vielerorts Brauch. daß einige Tage nach der Geburt eines Kindes elf Bretter bereitgestellt wurden: five för de Waig un sess för de Daudenkist' (fünf für die Wiege und sechs für den Sarg, die Totenkiste'). Es war dann die Aufgabe des dritten Nachbarn, diese Eichenbretter, die sich der Tote zu Lebzeiten auf dem „Backhues" (Backhaus) zum Trocknen bereitgelegt hatte, zum Schreiner zu fahren, der daraus den Sarg fertigte. Noch nach dem Zweiten Weltkrieg, in den fünfziger Jahren, konnte man manchen älteren Bürger aus den Bauernschaften treffen, der die Bretter für seinen Sarg schon seit Jahrzehnten fertig liegen hatte.

Nach dem Einsargen wurde der Tote im Hause aufgebahrt. Erst in der späteren Nachkriegszeit, den fünfziger und sechziger Jahren, wurde vielerorts durch gemeindliche Satzung verfügt, daß die Leiche in die Leichenhalle/Friedhofskapelle gebracht werden mußte; bei zunehmendem Verkehr auf den Straßen wurden Beerdigungen zu einem Hindernis. Zudem starben dann auch die meisten Menschen nicht mehr zu Hause, in ihrer gewohnten Umgebung, sondern im nächstgelegenen Krankenhaus. Auch hygienische Gründe mögen für die Änderung des Aufbewahrungs- und Aufbewahrungsortes eine Rolle gespielt haben, besonders dort, wo in verstädterten Gegenden die Toten in Mietshäusern aufgebahrt werden mußten.

Die Leiche wurde im besten Zimmer, der ,guten Stube', aufgebahrt oder auch in der Diele, wenn diese mehr Platz bot. Der Tote wurde mit der Totendecke zugedeckt, um die gefalteten Hände wurde ein Rosenkranz gelegt; dazu hielt der Tote einen kleinen Blumenstrauß in der Hand - so ist es auch heute noch. An der Wand des Zimmers war ein großes Kreuz, dazu links und rechts je eine Kerze am Sarg sowie Lorbeerbäume.

Die Nachtwache und das Beten

In den Bauernschaften wurden von jeweils zwei Nachbarn auch die Nachtwachen (Totenwachen) gehalten, und zwar in dem gleichen Raum, in dem der Tote aufgebahrt war. Dies war auch in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg noch der Fall, sie hörten erst auf, als die Leichenhallen kamen, in denen natürlich keine Nachtwachen gehalten werden konnten.

Wie Seppenrader Gewährsleute berichteten, soll der Brauch der Nachtwache vielleicht auch darauf zurückzuführen sein, daß es früher - im Gegensatz zu heute - viel Mäuse und auch Ratten auf den Bauernhöfen gab, die dann möglicherweise auch im Aufbahrungszimmer ihr Unwesen treiben konnten, Neben diesen rein nützlichen Erwägungen aber war es wohl in erster Linie ein Ausdruck der Achtung und Liebe, die man dem Toten entgegenbringen wollte, wenn man Nachtwache bei ihm hielt. Bis in die sechziger Jahre hinein kamen die Nachbarn an drei aufeinander folgenden Abenden zum „Beten" (Biädden) im Trauerhaus zusammen, meistens gegen 19 oder 20 Uhr. „Dat Biädden" dauerte zwischen 20 und 60 Minuten und fand in der Diele oder der Küche statt - nicht jedoch im .besten Zimmer', wo der Tote aufgebahrt war. Es war selbstverständlich, daß dabei gekniet wurde; zu diesem Zweck wurden lange Bretter auf jeweils zwei Stühle gelegt, so daß man sich darauf abstützen konnte.

Der erste Nachbar oder eine andere geeignete Person betete vor; gebetet wurden der schmerzreiche Rosenkranz mit dem Zusatz: „.... der sich der armen Seele erbarmen wolle!", die Litanei für die Armen Seelen/Verstorbenen usw.

Als die Gemeinden dazu übergingen, in den sechziger und siebziger Jahren Friedhofshallen mit Kapellen zu bauen, wurde die Leiche dort aufgebahrt, und das Beten fand für eine Übergangszeit von mehreren Jahren entsprechend altem Brauch trotzdem noch abends im Trauerhause statt, bis sich die Regelung durchsetzte: einmaliges Beten in der Pfarrkirche. So ist es heute. Die Benachrichtigung über das Beten in der Kirche erfolgte entweder durch Totenbrief oder mündlich.

Zum Beten kam früher die gesamte Nachbarschaft zusammen, nicht nur ein Vertreter aus jedem Hause, sondern alle bis auf einen, der das Haus hüten mußte; auch die erwachsenen Kinder gingen mit. So waren immer zwischen 30 und 50 Personen im Trauerhause beim Beten zugegen. Am dritten, dem letzten Abend bedankten sich die Familienangehörigen bei den zum Beten gekommenen Nachbarn: "Besten Dank för'n Beseuk un för't Biäddeni" (Besten Dank für den Besuch und das Beten!).



Heinz Rüschenschmidt



(Aus dem Jahrbuch 1990 des Kreises Coesfeld)