6a. Die Heirat
Heiratsvermittlung - Brautwerbung - Verlobung
In den ländlichen Gebieten kannten sich die Jungen und Mädchen meist schon von der Schulzeit an (oder auch schon vorher), so dass bei der Wahl keine Schwierigkeiten zu erwarten waren. Heiraten in weiter entfernte Dörfer war verhältnismäßig selten. Die Werbung des Jungen bei dem Mädchen geschah aber trotzdem nicht immer durch ihn selbst, sondern durch einen Bekannten, Verwandten oder redegewandten Heiratsvermittler. Dies galt auch dann, wenn sich die jungen Leute kannten, ja sogar, wenn sie sich bereits "einig" waren.
Heute kann man sich kaum noch vorstellen, dass ein anderer die Heirat vermittelte, statt dies den jungen Leuten selbst zu überlassen. Doch diese Zeit liegt noch nicht weit zurück; noch zwischen den Kriegen war es recht häufig der Fall. Die Eltern des künftigen Bräutigams und der Braut halfen da mit, sprachen die Verlobung der Kinder ab und führten sie zusammen. Stellenweise gab es auch sogenannte Heiratsvermittler. Bis zum Ersten Weltkrieg betätigten sich auf diesem Felde besonders die "Kiepenkerls" = Männer, die mit der Kiepe auf dem Rücken von Hof zu Hof zogen, sich dort also bestens auskannten.
In Ascheberg gab es noch in diesem Jahrhundert einen angesehenen Kaufmann, der mit seinem "Packen" von Hof zu Hof ging und Aussteuer sowie sonstige Kleidungsstücke verkaufte. Er kannte jede Bauernfamilie und vermittelte Heiraten, sicherlich nicht ohne Eigennutz, da er dann jeweils seine Aussteuerwaren verkaufen konnte. Wenn es sich nicht um einen Handelsmann handelte, konnte man sich - so sagte man - durch eine solche Vermittlung "einen Hut verdienen", das heißt, dem Brautwerber winkte am Verlobungs- oder Hochzeitstag als Lohn ein Hut, ein Paar Stiefel oder ein Paar gelbe Strümpfe (wie z. B. in Borken).
Wie dem auch sei: Auf diese Weise wurde manche Ehe vorbereitet; es war eine Art, die allgemein üblich war, überall akzeptiert wurde und durchaus als seriös galt.
Es gab auch bestimmte Formen, die beim ersten Besuch des werbenden Bräutigams im Hause der Braut eingehalten wurden - dies war ja der entscheidende Besuch, von dem die weitere Entwicklung abhing. Schon beim ersten Besuch wurde dem Werber gegenüber - nicht durch zweifelsfreie mündliche Aussage, aber in trotzdem eindeutiger indirekter Weise zum Ausdruck gebracht, ob er erwünscht war oder nicht.
Wenn also ein junger Mann Werbungsabsichten hatte, so machte er sich eines Sonntags auf den Weg und besuchte den betreffenden Hof oder Kotten. Das Schwierigste war natürlich der Beginn eines Gesprächs - ganz gleich, ob man sich bereits kannte oder nicht. Man sprach zuerst über das Wetter, die Saat, das Vieh - alles Fragen, die den Bauern interessieren. Auch wurden die Pferde, Kühe und Schweine besichtigt ("De Piär off Kaih offt Süerg wüören mustert"). Erst nach solchen Gesprächen und Besichtigungen kam der Besucher auf den eigentlichen Zweck seines Kommens zu sprechen ("Nu loll us män von't Friggen kueren" "Nun laßt uns vom Freien sprechen!") Sodann wurde der Besucher zum Kaffee eingeladen, wobei die Tochter des Hauses, um die es ging, bedienen mußte. also den Kaffeetisch decken und einschenken. Regelmäßig gab es zum Kaffee festen Kuchen und/oder "Beschüet" (länglicher Zuckerzwieback) . Bestimmte Speisen, die Zu- oder Absage bedeuteten, waren nicht überall bekannt, zumindest nicht im Kreis Coesfeld. Aber in ganz Westfalen galt mäßige Bewirtung, das "geringe Tractament" (wenn z. B. nur ein Butterbrot gereicht wurde), als Absage.
Wenn am Schluß des Kaffeetrinkens beide Seiten einverstanden waren, durfte der junge Mann am darauffolgenden Sonntag wiederkommen. Erst danach besuchten sich auch die Eltern- dies galt auch dann, wenn sich die Eltern bereits kannten oder gar Nachbarn waren.
Die bei diesen Besuchen geäußerten allgemeinen und besonderen Auffassungen, das zueinander gefaßte Vertrauen, Sympathie und Zuneigung spielten eine wichtige Rolle. Nicht immer war die "Sache" mit dem gegenseitigem Besuch der Eltern abgeschlossen. Es wurden vielmehr weitere Überlegungen und Gespräche der jungen Leute untereinander und der Eltern mit ihren Kindern angestellt, so über wirtschaftliche Fragen, die Aussteuer, Besitzanteile und Altenteilsrechte. Bei der Hochzeit im ländlichen Raum ging es nicht nur um ideelle Werte, sondern man dachte konkret auch an den Arbeitsablauf auf dem Hof-, es wurde großer Wert auf Gesundheit, Fleiß und Wohlhabenheit der Braut gelegt36. Wenn es um eine Einheirat ging, wurde es als nützlich angesehen, den Besuch an einem Wochentag zu machen, damit man sich über den Arbeitsablauf und -umfang auf dem Hof ein besseres Bild machen konnte. Erst wenn auch alle wichtigen wirtschaftlichen Fragen besprochen worden waren und auch von daher keine Hindernisse im Weg standen, konnten die Beteiligten sagen: "Wi hebbt ei fastmaakt!" ("Wir haben es festgemacht/vereinbart.").
Die Verlobung fand zumeist im Hause der Braut statt. Nach dem gemeinsamen Besuch der Heiligen Messe kam der Pfarrer zum Nachmittags-Kaffee, segnete die Ringe und steckte sie den Brautleuten an. Geschenkt wurden Dinge des täglichen Gebrauchs. Eine lange Verlobungszeit war allgemein nicht üblich-, meistens wurde schon bei der Verlobung über den Termin der Hochzeit gesprochen.
Die ersten Vorbereitungen
Die Hochzeit hatte von jeher nicht nur eine sehr große Bedeutung, sie wurde auch aufwendig und ausgiebig gefeiert. Bevorzugt wurde die Zeit "tüsken Seihen und Meihen" = zwischen Säen und Mähen, aber auch schon mal die Zeit nach der Ernte.
Der Trauung war die Verkündigung in den Pfarrkirchen sowohl der Braut als auch des Bräutigams vorgeschaltet, und zwar an drei aufeinanderfolgenden Sonntagen im Hochamt (meistens Beginn um 10.00 oder 10.15 Uhr). Diese Messen wurden von den Verlobten besucht. Der Wortlaut der Verkündigung, bis etwa zum Jahre 1950 kirchliche Vorschrift, war wie folgt:
"Es werden zum Stande der heiligen Ehe verkündigt, zum ersten Male:
N. N. (Name und Stand) aus N. und N. N
aus N.
zum zweiten Male: (wie oben)
zum dritten Male: (desgleichen).
Sollte jemand wissen, dass dieser (diesen) beabsichtigten ehelichen Verbindung (Verbindungen) das Ehehindernis der Blutsverwandtschaft, der Schwägerschaft, der geistlichen Verwandtschaft oder ein anderes kirchliches Ehehindernis entgegensieht, so ist er im Gewissen verpflichtet, dieses sofort dem Pfarrer zur Anzeige zu bringen. (Ist Dispens in einem öffentlichen Ehehindernis erteilt, so wird den betreffenden Namen beigefügt:)
Für beide ist wegen Blutsverwandtschaft, (Schwägerschaft usw.) Dispens erteilt worden. (Ist Dispens von einer Proklamation erteilt worden, so muß auch dies ausdrücklich bemerkt werden.) "
Im Volksmunde sagte man: "Se Waran VA de Kanzel seiberten/Roben! ", oder "Se hebbt Lisbeth Hagemann von de Kanzel Roben" (= "Sie haben L. H. von der Kanzel gerufen! ")
Am Nachmittag der 1. Verkündigung kamen die Eltern der Brautleute, der Gästebitter und die Köchin zusammen, um die Vorbereitungen für die anstehend Hochzeit zu besprechen. Die gesprächseinleitende Frage war:"W seilte gewöhne? ("Wie soll's gehen, gemacht werden? ") Es ging dabei um Fragen wie: Wer wir eingeladen? Wer besorgt dies? Was kochen wir zu Mittag? Was kommt zum Kaffee auf den Tisch? Wie sieht das Abend essen aus? Wer macht die Musik? Wer sind die Trauzeugen? Wer führt die Brautleute? usw.
Es oblag den Brautleuten, den "Föhr-Nubier" ("Fahr-Nachbarn") aufzusuchen und wegen der Kutsche zu fragen. Die s galt auch für den Fall, dass auf dem Hof/dem Kotten der Brautleute selbst eine Kutsche vorhanden war. Je nachdem wie der Zustand der Kutschen war wurde auch mal abgesprochen, dass der Nachbar nicht mit seiner eigenen, sondern der Kutsche aus dem Hause des Bräutigams fahren sollte.
Der Hochzeit vorgeschaltet war auch der Brautunterricht. Je nach Zeit und Gegend mußten die Brautleute unterschiedlich oft (ein bis dreimal) zum Brautunterricht, und zwar entweder nach der sonntäglichen Christenlehre (die zumeist um 14 Uhr begann) oder des Abends. Es handelte sich hierbei um eine Unterweisung, bestimmtes Wissen z. B. aus dem Katechismus ( wurde aber nicht abgefragt), obwohl die Bezeichnung "Brutexamen" (Brautprüfung) gängig war.
Der Gästebitter
Er hatte die wichtige Aufgabe, die Einladung zur Hochzeit persönlich zu überbringen, damit sollte auch die Bedeutung der Hochzeit unterstrichen werden. Allgemein bekannt war der Gästebitter noch bis in den 20er Jahren, dann verlor er jedoch immer mehr an Bedeutung. Sicherlich hing dies auch damit zusammen, dass oft nicht mehr im gleichen Dorf geheiratet wurde, sondern der "Lebensgefährte" aus einem weiter entfernt liegenden Landesteil kam.
Der Hochzeitslader oder Gästebitter/ Leutebitter war schon äußerlich erkenntlich am Rosmarinstrauß, den er am Hut (Zylinder) und im Knopfloch trug, sowie am "Ladestab" = Hochzeitsstab, Einladungsstab der mit langen, bunten Bändern geschmückt war.
Ein gängiger Spruch des Gästbitters lautete wie folgt:
Guten Tag Euch allen hier. nun habt Ihr den Gästebitter hier!
Ihr habt es sicher schon vernommen, dass er auch wollt' hierher kommen.
Hierher setze ich nun meinen Stab, und mein Hütchen nehme ich ab.
Ich soll Euch sagen von diesem und jenem
Und weiß nun gar nicht mehr, was! (Hier wird ein Schnaps eingeschenkt)
Gottseidank, was bin ich froh.
Ich kenne nun meinen Spruch wieder und der geht so:
Brautvater und Brautmutter laden Euch ein,
auch die Braut mit ihrem Bräutigam,
Ich sollt Euch alle machen recht fein,
aber Braut und Bräutigam wollen die feinsten sein,
Und putzt Eure Schuhe gut mit Fett, dann läßt es sich auch tanzen nett.
Die Nachbarn müssen sorgen für einen guten Schinken.
Ist's kein rechter, dann ist's ein linker.
Schöne Suppe gibt es mit Reis.
die ist vom allerbesten Preis.
Dann kommt ein Stück vom Kalb;
ist's kein ganzes, dann ist's eben ein halbes.
Auch ein Gläschen Wein beim Essen, das wollen die Brautleute nicht vergessen.
Und nun tut mir eine bunte Schleife an den Rock,
eine schöne Rose an meinen Stock,
Und ein Glas mit Schnaps in die Hand, damit ich auch hier einen an den Zahn kriege!
Der Gästebitter war üblicherweise kein Verwandter, sondern jemand, der sich in der Nachbarschaft und dem Kreis der Einzuladenden gut auskannte; dies konnte auch der Hausschlächter sein, der das Fleisch für die Hochzeit zubereitete. Es war selbstverständlich, dass zu jeder Hochzeit geschlachtet wurde.
Es war Ehrensache, dass der Gästebitter für seine Besuche auf den Höfen und bei den Köttern einen Gehrock anzog; sein "Ladestab" (Hochzeitsstab) war körpergroß und mit bunten, vor allem roten Bändern geschmückt. Der Zylinder war oft zusätzlich noch mit einem kleinen Kranz oder einem Rosmarinstrauß versehen, ebenso trug er oft ein Sträußchen im Knopfloch.
Wenn er zu den Leuten kam, die er als Gäste zur Hochzeit bat, dann stieß er als erstes mit dem Ladestab kräftig auf den Boden. Damit wollte er sich Gehör verschaffen -, es war dies die Aufforderung an die Hausbewohner, zur Haustür zu kommen.
Nachdem der Gästebitter die Einladung ausgesprochen hatte, wurde er bewirtet; manchmal bekam er auch ein Handgeld. Es darf noch gesagt werden, dass es allgemein als Beleidigung des Brautpaares aufgefaßt wurde, wenn eine Einladung nicht angenommen wurde.
Dem Hochzeitsbitter war es oft nicht möglich, alle Einzuladenden an einem einzigen Tag zu erreichen - dafür waren die Wege zu weit; auch zog sich der Aufenthalt auf den einzelnen Höfen manchmal in die Länge, was die Bewirtung anging. Es war schon ein Ereignis besonderer Art, wenn ein Gästebitter erschien, man freute sich uber die ausgesprochene Einladung . und dann wollte man inn Aiich nicht gleich weiterziehen lassen.
Die Aussteuer
Man heiratete früher "standesgemäß", d.h. es kam nicht nur darauf an, was die Braut von Hause aus war oder aus welcchem Hause sie kam, sondern auch daraufwas sie mit brachte: die Aussteuer, Es handelte sich dabel um Dinge wie Möbel, persönliche Kleidung und dievon den Eltern einer Tochter gegeben wurde, um ihren Haushalt einzurichten. Von einer Braut, die eine große umfangreiche Aussteuer in die Ehe mitbringen konnten, sagte man: "Se hat ne graute Utstuer!" (Sie hat eine große Aussteuer!) oder "Se hätt üöuordentlick wat an die Foet!" (Sie hat ordentlich was an den Füßen!) Die materielle Seite hatte - das wurde auch offen bekannt - schon eine gewisse, manchmal sogar ausschlaggebende Bedeutung.
Es war - und ist auch größtenteils bis auf den heutigen Tag noch - üblich, daß die Braut das Schlafzimmer, teils auch das Wohnzimmer "mitbrachte@. In früherer Zeit, bis etwa zur Jahrhundertwende bzw. bis zum 1. Weltkrieg wurde die Wäsche, versehen mit eingesticktem Monogramm und mit bunten Schleifen zusammengebunden, in Truhen aufbewahrt, die dann ebenfalls mit "zur neuen Stelle" gingen ("De gongen met no de niee Stiae!")
Zu einer guten Wäsche-Aussteuer (vornehmlich Bett- und Tischwäsche, teils auch Leib-Wäsche) gehörte alles in einer 1- Dulzend- oder auch 2-Dutzend-Ausführung, d. h. 12 bzw 24 Stück von jedem Teil; die 2-Dutzend-Ausführung aber war recht selten. Zur Aussteuer gehörte auch der sogen. "Manteistock"; es handelt sich hierbei um eine vom Dorfschreiner gefertigte einfache Garderobe, ein Holzbrett mit Haken und Vorhang/ Gardine. Angebracht wurde der Mantelstock entweder in der Küche oder im Schlafzimmer.
Die Truhen, sogen. Runddeckel-Truhen, in denen die Linnenballen und sonstige Aussteuer bis zur Hochzeit aufbewahrt wurden, waren von unterschiedlicher Ausführung, Größe und Qualität. Es gab ganz einfache, mit eisernen Beschlägen ohne Jahreszahl und ohne Schnitzarbeiten, aber auch solche, die den Namen der Braut trugen in Messing oder Schmiedeeisen, aus verschiedenartigem Holz gefertigt waren und Schnitzereien aufwiesen. Oft wurde mit dem Einschnitzen der Namen auch gewartet, bis das Jungmädchen wußte, wen es heiratete: Dann wurde beider Namen eingeschnitzt mit der Jahreszahl oder dem Datum der Hochzeit.
Auch war es üblich, daß die Braut noch ein "Schapp" (Schrank), ca. 260 cm hoch, für die Küche mitbrachte. Im Oberteil wurden Tassen und Teller aufbewahrt, im Unterteil z. B. links: Brot, rechts: Küchengerat usw. In der Mitte des Unterteils waren in der Regel vier großeSchub-/ Ziehfächer, sogen. "Trecken", ("trecken" = ziehen); dort wurden die Lebensmittel wie Zucker, Salz, getrocknete Birnen/ Pflaumen, Sago und sonstige "Kolonialwaren" (Wie man noch bis zum 2. Weltkrieg sagte) aufbewahrt. Das Mittelteil, "Schenk" genannt, war frei, wenn nicht die "Braudlaar" (Brotlade) dort hingestellt wurde. Man sagte z. B.: "Set dat in de Schenk!" (Setz das in die Schenk = Mittelteil!). Manchmal wurde in der "Schenk" aus Bequemlichkeit auch alle möglichen Dinge abgestellt - aber das wurde nicht als Zeichen besonderer Ordnungsliebe angesehen. Für die "Schenk" gab es auch noch einen anderen heute noch gebräuchlichen Ausdruck, nämlich "Anrichte".
In seltenen Fällen - bis ca. 1945 - gehorte zur Aussteuer auch ein Sofa, mit aufgelegten gehäkelten oder gestickten weißen Tüchern.
Zum Linnen soll noch gesagt werden: Es war 70 cm breit. Von einer Tuchrolle konnten vier Bettlaken oder vier Tischdecken abgepaßt werden, und zwar mußten die Tücher (weil sie nur 70 cm breit waren) mit sehr feiner Nadel in recht mühsamer Arbeit mit der Hand zusammengenäht werden. Früher gab es kein Bett- oder Tischtuch ohne Monogramm - das war der Stolz der jungen Frau. Zum Teil wurde die Leinenaussteuer auf dem Hof selbst genäht - bis zur Jahrhundertwende war dies sogar die "Regel". Später - bis in die 1930er Jahre - kam die Weißnäherin auf die Höfe und übernahm diese Arbeit-, sie wurde die "Wittinaiherschk" genannt.
Es war selbstverständlich, daß am Hochzeitstag die mitgebrachte Aussteuer regelrecht besichtigt und begutachtet wurde, und zwar im Anschluß an das Kaffeetrinken. Es war dies eine ganz besonders wichtige Sache, und hiervon gab es keine Ausnahme. Wenn auf der einen Seite die mitgebrachte Aussteuer der Stolz der jungen Frau war, so mußte nach der Besichtigung unbedingt auch das Urteil kommen: "Sia hat üördentlik wat metbracht!" (Sie hat ordentlich was mitgebracht!) Alle Schranktüren und Schubfächer wurden geöffnet, damit leicht ein Überblick möglich war. Mehr als einmal soll es vorgekommen sein, daß "nieschierige" (neugierige) Kaffee-Tanten mit der Hand mal hinter die Ballen faßten (wenn die junge Frau gerade nicht zuschaute), um sicherzugehen, daß dort kein leerer Raum war (denn auch das soll es schon mal gegeben haben). Vieh gehörte, soweit bekannt, wohl nur bei den wohlhabenden Familien zur Aussteuer").
Das Kistenwagenfahren und andere Bräuche
Das Kistenwagenfahren war bis ca. 1970 üblich-, spätestens seit dieser Zeit stellen die Möbelschreiner selbst keine Möbel mehr her, da dies fast ausschließlich von Möbelfabriken übernommen wurde. Es ging beim Kistenwagenfahren darum, daß die gesamte Aussteuer der Braut zum Haus und Hof des Bräutigams gefahren werden mußte; man nannte dies auch "Brutwagenföern", (= Brautwagenfahren). In der Regel geschah dies montags, am Tage vor der Hochzeit; dabei schwang natürlich die Vorfreude auf das Fest mit. Beim Kistenwagenfahren handelte es sich um einen Kastenwagen oder einen Sack-/Leiterwagen (= "Ringstenwagen"; Ringsten = Seitenteile am Erntewagen), der zuvor bestens gesäubert und geschmückt wurde; auch die Pferde wurden geschmückt. Am Wagen festgemacht wurde ein Reisigbesen (selbst gefertigt aus Birkenreisig) mit einem Hahn inmitten der Reisige.
Gefahren wurde das "Brautfuder" vom ersten Nachbarn und der "Soltmoer", evtl. auch vom Bräutigam Die Braut selbst fuhr nicht mit, wohl aber der Schreiner, der die Möbel gefertigt hatte, denn es war ja auch seine Aufgabe, die Möbel aufzustellen, die Türen und Trekken ( = Schubladen, Ziehladen) gangbar zu machen. Vor und nach dem 1. Weltkrieg fuhr auch noch die "Wittaiherschk" (= Weißnäherin, die Näherin der Brautsteuer) mit.
Wenn der Wagen am Haus des Bräutigans ankam, wurde er von allen bejubelt, ja schon von weitem mit Rufen und Winken begrüßt, weil er erwartet wurde. Die erste Frage bei Ankunft des Kistenwagens war gewöhnlich : " Wo ist die Waterwoog ? " (WO ist die "Wasserwaage" = Schnapsflasche).
Sodann wurde alles vom Wagen abgeladen und an Ort und Stelle gebracht. Das Aufstellen des Schlafzimmers stellte einen besonderen Höhepunkt dar, wobei auch überlieferte Formen beachtet wurden.
So waren dabei alle Nachbarn anwesend, die "Soltmoer" hatte die Führung. Die jungen Brautleute allerdings hatten mit dem Aufstellen des Schlafzimmers nichts zu tun - sie durften nicht dabei sein. Das Aufstellen des Schlafzimmers zog sich oft sehr in die Länge, denn es musste immer wieder "ausgewogen" werden, ob das Schlafzimmer auch "in der Waage" stand. Häufig kam es dabei vor, daßs den jungen Eheleuten ein Schabernack gespielt wurde, Man hing ihnen z B, eine Schelle unter's Bett oder nähte Ober- und Unterbett zusammen. Wenn diese Arbeiten erledigt waren, schloß die "Saoltmoer" das Schlafzimmer ab; sie öffnete es erst wieder am Hochzeitsmorgen.
Das Kistenwagenfahren geschah in der Regel am Tag vor der Hochzeit. dies bedeutete, daß nach dem Aufstellen des Schlafzimmers und dem Verbringen der übrigen Aussteuer der sogen. "Polterabend" eingeleitet wurde, und zwar mit Essen, Trinken und Tanzen. Manchmal ergab sich beim Einräumen. daß ein bestimmtes Teil, z.B. eine Schublade "spurlos" verschwunden war; es stellte sich dann erst wieder ein, wenn es reichlich "Suchgeld" oder einen guten Tropfen gab.
Hier und dort war die Bezeichnung "Kuorfaowend" für den Polterabend gebräuchlich - bis ca. 1950. Die Bezeichnung "Korbabend" leitete sich davon ab, daß die jungen Leute Eß- und Trinkbares im Korb mitbrachten.
Ein Polterabend mit Glasscherben war auf dem Lande unbekannt, es sei denn, Braut oder Bräutigam kamen aus der Stadt, z. B. aus Coesfeld, Dülmen oder Donmund. Aber auf dem Lande hat sich das Scherbenwerfen bis heute nicht überall durchgesetzt. Wo es praktiziert wird, hat es den alten vermuteten Sinn, durch Poltern und Lärmen böse Geister zu vertreiben, verloren.
In den Bauernschaften hieß eine Aussage: "So äs ne Beerdigunk uterhalb eenen ganzen duern mott, so mott on ne Hochtiet wenigstens acht Dage duern ( = So wie eine auswärtige Beerdigung einen ganzen Tag dauert, so muß eine Hochzeit wenigstens acht Tage dauern) - was besagen soll, dass jede Art der Vorbereitung, z. B. Grön halen (= Grün holen), Kränzen ( = Kränze binden), Kistenwagenföern ( = Braurwagenfahren), Polteraobend ( = Polterabend) und Nachbereitung, z. B. Kränze affbin'en (= Kränze abbinden) extra "gefeiert" wurde.
Am Kranzabend wurde das Grün, das die Nachbarn bei der "Saoltmoer" zusammengefahren hatten, zu Kränzen geflochten, und zwar hauptsächlich von Frauen. Für die Unterhaltung sorgte ein Bekannter mit dem "Treckbühl" ( = Bandonion).
Eine "Arbeitsteilung" besonderer Art, wenn Männer zugegen waren, bestand darin, daß die Letztgenannten dem Alkohol zusprachen. "Dat was maol wier ne Geliärgenheit! " ( = Das war mal wieder eine Gelegenheit - zum Trinken!). All dies spielte sich "up de Diäl" ab (= auf der Deele/Tenne).
Bei Beginn der Dunkelheit waren die Kränze zumeist fertig, So daß für alle der gemütliche Abschluß des Tages gekommen war, Hierzu wurde zunächst kräftig geschossen. Man sagte hierzu: "Wi wellt de aollen Friggers verdriewen" (= wir wollen die alten Freier vertreiben/verjagen. Früher nahm man dazu schwere Böller, die mit Schwarzpulver gefüllt wurden; darauf stopfte man Papier, und mit einem Zunder wurde das Pulver zum Knallen gebracht. Eine weitere - nicht ungefährliche - Art des Schießens wurde mit Milchkannen durchgeführt, die man mit Karbid füllte.
Nach dem 2. Weltkrieg ging man dazu über, Luftballons mit Sauerstoff oder anderen Gasen zu füllen; daran hielt man eine glühende Stange, so daß die Ballons unter lautem Gekrache platzten. Dazwischen wurde auf der Deele getanzt, und zwar bis in die Nacht hinein.
Natürlich gab es weitere notwendige Vorarbeiten für den Hochzeitstag: Beim Kränzen und Bogenmachen durften auch die selbstgeformten Röschen nicht fehlen; schließlich musste auch das Essen für die große Gästeschar entsprechend vorbereitet werden: es wurden, je nach Jahreszeit, ein oder zwei Schweine geschlachtet, ebenso Hühner oder Pute Dazu mußten Unmengen Kartoffeln geschält werden. 2-3 Tage vor der Hochzeit wurde mit solchen Arbeiten begonnen.
Zur Vorbereitung des Essens wurde eigens eine Kochfrau bestellt. Es gab Frauen, die dafür bekannt waren, große Hochzeiten zu "bekochen", die also alljährlich mehrmals in Aktion traten und sich dadurch ein Zubrot verdienten.
Die vorgen, Arbeiten konnten - zumeist im Hause des Bräutigams - nur gemeinsam mit der Nachbarschaft getan werden; abends wurde getanzt. Manch einer hat an einem solchen Abend das Tanzen überhaupt gelernt. Und es geschah nicht selten, dass an einem solchen Abend sich spätere Eheleute kennenlernten.
Heinz Rüschenschmidt
(Aus dem Jahrbuch 1989 des Kreises Coesfeld)