4. DIE SCHULE



Mit dem sechsten Lebensjahr traten die Kinder aus dem Verband der Großfamilie in das Schulleben ein. Am ersten Schultag gingen die Mütter mit den Kindern gemeinsam zur Schule, hier schrieb die Lehrerin (oder der Lehrer) die Namen der Kinder auf - es ging also praktisch nur um die Anmeldung. Danach gingen die Mütter mit den Kindern wieder auf den Heimweg. Am zweiten Schultag wurden die Sitzplätze zugeteilt. In den ländlichen Gegenden war die mit Naschwerk (Süßigkeiten) gefüllte Schultüte nicht bekannt, wohl in den Städten.

Zum ersten Schultag hatte längst nicht jeder einen neuen Tornister, er wurde auch - wenn es möglich war - von schulentlassenen älteren Geschwistern übernommen. Da die Tornister aus echtem Leder oder aus Holz gefertigt waren, hielten sie auch entsprechend lange. Bis in die dreißiger Jahre hinein gab es vornehmlich den Holztornister. Der Deckel - manchmal bunt bemalt - wurde durch ein zweiseitige Führung geschoben. Die Bauerschaftsschulen bestanden in der Regel aus einem einzigen Klassenraum, in dem alle acht Jahrgänge unterricht wurden, und zwar in Gruppen - manchmal mußten sich die älteren Schüler auch um die jüngeren kümmern.

Während des ersten Schuljahres - manchmal auch über mehrere Jahre - war auch ein- bis zweimal des Nachmittags Unterricht: z. B. Schulschluß um 12 Uhr, Wiederbeginn um 14 Uhr für ein oder 2 Stunden. Dies war noch vor dem Zweiten Weltkrieg, in den dreißiger Jahren, üblich. Aber schon damals drängten die Eltern darauf, die Stunden zusammenzulegen, weil sich der nachmittägliche Unterricht manchmal als störend für den Arbeitsablauf im Hause auswirkte. Es hieß dann auch wohl: "Tweemaol loopen - dovon goht de Holschken gau kapott! (= Zweimal laufen [gehen] davon gehen die Holzschuhe schnell kaputt") Für manche Schüler, die weit draußen in der Bauerschaft wohnten, war die mittägliche Unterbrechung von 12 bis 14 Uhr zu kurz, um nach Hause und wieder zur Schule zu gehen, so dass sie gezwungen waren, bei Mitschülern zu Mittag zu bleiben, die in der Nähe der Schule wohnten.

Die Wege zur Schule waren für manche Bauerschaftskinder recht weit. Drei bis fünf Kilometer (ein Weg) waren keine Ausnahme. Dazu kam, dass die Kinder in der dunklen Jahreszeit morgens eine Sturmlaterne (Petroleum) oder eine Karbid Lampe mitnehmen mußten, um nicht vorn Weg oder vom "Pättken" abzukommen, denn ausgebaute Wirtschaftswege - wie dies heute überall der Fall ist - gab es zumindest bis Mitte der fünfziger Jahre nicht. Straßenbeleuchtung war in der Bauerschaft gänzlich unbekannt.

Die Jungen trugen Holzschuhe (nicht nur im ersten Schuljahr, sondern bis zur Schulentlassung) schwarze, kurze Manchesterhosen, Strümpfe bis über die Knie, zur Einschulung erhielten die Jungen eine andere Frisur; während bis zum Beginn der Schulzeit der sogenannte Bubikopf üblich war (lange Haare bis über die Ohren), gab es nun die sogenannte Pony-Frisur. Besonders stolz waren die Jungen auf ihre Mütze, vorn mit schwarzlackiertem Schirm.

Die Mädchen trugen natürlich ebenfalls Holzschuhe-, über das Kleid wurde eine Schürze gebunden (um es zu schonen), die sonntags gewaschen wurde. Die selbstgestrickten Strümpfe wurden das ganze Jahr über getragen, also auch an heißen Sommerlagen. Bis in die Jahre 1925 bis 30 gab es grundsätzlich die "Gretchenfrisur". Aber ebenso bekannt waren die Zöpfe-, je länger sie waren, desto stolzer war das Mädchen. Am Ende wurden verschiedenfarbige Schleifen in Schmetterlingsform in die Zöpfe gebunden. An Sonntagen aber wurden weiße Schleifen getragen. In den dreißiger Jahren kamen auch bei Mädchen die Bubiköpfe Mode.

Zweimal in der Woche wurde Katechismus-Unterricht abgehalten, und zwar bis zur Ersten Heiligen Kommunion; dazu kamen dreitägige Exerzitien vor Ostern. Bis zur Schulentlassung mußte des Sonntagsnachmittags - zumeist gegen 14 Uhr - die "Christenlehre" (mit Aussetzung des Allerheiligsten und Singen des lateinischen Textes "Tantum ergo") besucht werden, die etwa eine Stunde dauerte. Nur an drei Tagen fiel die Christenlehre aus: am zweiten Weihnachtstag, am zweiten Ostertag und am zweiten Pfingsttag.

Vier Wochen vor der Schulentlassung erhielten die Kinder in der Kirche den "Entlassungsunterricht". Der 31. März war der letzte Schultag, am 1. April wurde die Lehrstelle angetreten - es war also ein nahtloser Übergang von der Schule ins Berufsleben. Nach der Schul-Entlassung wurden die Schüler in die "Jünglings-Sodalität" (Sodalis, tat. = Gefährte), die Schülerinnen in die "Jungfrauen-Kongregation" (lat. Versammlung) aufgenommen - dies war eine Selbstverständlichkeit, und zwar bis 1933. Eigentliche Schulentlassungsfeiern, bei denen sich Volksbräuche gebildet hätten, waren nicht bekannt.

Die Kinder wurden schon früh in die Arbeitswelt eingeführt, indem sie in Haus, Hof, Garten und auf dem Felde mitarbeiten mußten. Die Mädchen halfen in Haus und Garten. Auf dem Felde mußte das Heu gewendet werden - eine Arbeit auch für Jungen -, und zwar mit der Harke; Runkeln und im Garten gezogene Rübenpflanzen wurden angelegt, damit sie von den Erwachsenen gepflanzt werden konnten; Stoppelrüben mußten im Herbst gezogen, geschnittenes Korn zu Garben gebunden werden. Auch beim Dreschen wurde auf die Hilfe der Jüngeren zurückgegriffen. Das Vieh wartete auf die Fütterung. Auch das Herdfeuer mußte versorgt werden, u. v. a. m. Der Verfasser selbst hat schon im Alter von fünf Jahren auf dem Dachboden (dem Balken) die Garben herangeschafft und durch die Luke für den Breitdrescher angegeben oder z. B. im Alter von sieben Jahren das erstemal Hafer mit der Sense geschnitten. Bei vielen Köttern war es üblich, dass am Sonntagnachmittag von den Kindern die Kühe gehütet wurden, das heißt, außerhalb der normalen Weide, z. B. auf einem Anrain, einem Kleefeld o. ä. Durch diese Arbeiten wurden Beständigkeit, Ausdauer und Pflichtbewußtsein eingeübt.



Heinz Rüschenschmidt



(Aus dem Jahrbuch 1988 des Kreises Coesfeld)