3. ERZIEHUNG UND KINDERSPIELE

Das Leben auf dem Lande verlief in festen Bahnen: Die Jahreszeiten brachten die entsprechenden Arbeiten in Haus und Feld; für viele Anlässe im Lebensund Jahresablauf hatten sich Bräuche entwickelt - über allem aber stand die Achtung des hergebrachten Glaubens an Gott und seine Kirche. Es ist müßig, Überlegungen darüber anzustellen, wie groß die jeweiligen Anteile von Tradition und echter Überzeugung waren. Die Erziehung im christlichen Geist setzte schon zum frühestmöglichen Zeitpunkt beim Kind ein, wobei die enge Verbundenheit mit der Natur für die Eltern und Großeltern schon recht hilfreich war, wenn es um die Beantwortung religiöser Fragen des Kindes bzw. Enkelkindes ging.

Ein äußeres Zeichen für die Verbundenheit im Glauben war z. B. das gemeinsame Tischgebet; meistens mußte eines der Kinder vorbeten. Auch wenn diese noch nicht die Volksschule besuchten, so hatten sie doch schon mehrere Gebete geIernt Besonderer Wert wurde auf ein ordentliches Kreuzzeichen und deutliche Aussprache gelegt.

In der Großfamilie kümmerten sich alle um die Erziehung der Kinder, vornehmlich jedoch Mutter und Großmutter, aber auch der Vater und Großvater kamen zum Zuge, vor allem am Feierabend. Selbst die älteren Geschwister wuchsen wie von selbst in diese helfende Aufgabe hinein. Bei den nicht gerade großzügig ausgelegten Wohnverhältnissen hatte beileibe nicht jedes Kind ein eigenes Schlafzimmer, sondern es war durchaus die Regel, dass drei oder auch vier Kinder in einem kleinen Schlafraum untergebracht waren.

Wenn die Großeltern neben dem Elternschlafzimmer ihr Schlafzimmer hatten, gaben sie des Nachts, wenn der Säugling weinte, wohl mal folgenden Rat - so im Lüdinghauser und Dülmener Raum:

"Hahl dat Kind doch,

Nimm et bi di,

Legg 't an

Un dann has du Ruh,

Dein Mann, dat Kind

Un ik!

Wir wissen, dass es in früheren Zeiten noch nicht so eine große Auswahl an Spielsachen gab wie heute, so dass kleine Spiele, selbstgefertigtes Spielzeug einfacher Art, Reime usw. eine große Bedeutung hatten. Es wurde unterschieden nach Spielen, die draußen und solche, die im Hause gemacht werden konnten, aber auch nach solchen, die nur von Jungen oder nur von Mädchen ausgeübt wurden.

Reime standen oft am Anfang der Spiele. weil dadurch die Reihenfolge festgelegt wurde, z. B. lauteten einige der bekanntesten Reime wie folgt:

Ringel, Rangel, Rose,

Butter in der Dose,

Schmalz in den Kasten,

Morgen wollen wir fasten,

Übermorgen Lämmlein schlachten,

das soll heißen Mää.

oder

1, 2, 3, 4, 5, 6, 7,

Eine Bauersfrau kocht Rüben,

Eine Bauersfrau kocht Speck,

Du gehst weg!

An einfachsten Spielen sollen u. a. genannt werden: Kniereiten ("Hoppe, hoppe, Reiter"), Fingerspiele (z. B. Schattenspiele an der Wand durch Handbewegungen), Handkitzeln (Kille, kille, kille) oder "Zugföhr'n" (wobei Stühle hintereinander gestellt wurden, die einen Eisenbahnzug darstellen sollten). Es war schon so, dass das Spielen des Kindes auch früher schon als wichtig für die Entwicklung des Kindes angesehen wurde - auch wenn kaum jemand eine psychologische oder pädagogische Begründung dafür geben konnte. Das, was die Eltern in ihrer eigenen Kindheit und Jugend mitbekommen hatten, gaben sie mit natürlicher Begabung, entsprechend dem Alter der Kinder, an diese weiter. Dabei spielte auch die Jahreszeit eine wichtige Rolle. Einige der bekanntesten Spiele sollen nachstehend beschrieben werden

"Keitkes"

Sehr bekannt war das Geschicklichkeitsspiel (vor allem für Mädchen) mit einem Ball oder vier Fußwurzelknochen vom Schaf oder Reh. Jedes Kind hatte dabei vier solcher handlicher oder harter Knochen, "Keitkes" genannt, deren eine Seite gewölbt ("Buuk" = Bauch), die andere ausgehöhlt ("Lock" = Loch) war. Der Ball wurde möglichst hoch in die Luft geworfen, und ehe er wieder zu Boden kam, mußten die Keitkes umgedreht werden, so dass sie ein gleichförmiges Bild ergaben, das heißt, alle entweder mit dem "Buuk" oder dem "Lock" nach oben.

Beim Umdrehen der Keitkes - wenn also der Ball noch in der Luft war wurde folgendes gesprochen: " Buob'n, unnen, hier un do!" (= Oben, unten, hier und dort). Da jede Seite der Keitkes ein anderes Aussehen hatte, war ein Mogeln nicht möglich. Die Knochen mußte derjenige umdrehen, der auch den Ball nach oben warf. Dieses Spiel mit "Keitkes" wurde auch in den Schulpausen gespielt; es war ein einfaches, aber sehr bekanntes Spiel - bis etwa 1940.

"Knickern"

Hier handelt es sich um verschieden große Kugeln aus Eisen oder Glas, oft aber aus Ton selbst gebrannt. Bekannt war die Bezeichnung "Baster" für eine hübsche, bunte Glaskugel. Beim sogenannten "Pott-Knickern" bzw. "Loch-Knickern" ging es wie folgt zu: Es wurde zunächst ein kleines Loch gemacht, ca. fünf Zentimeter tief; rund herum, in ca. 1.5 Meter Abstand, wurde der Sand- oder Erdboden ganz glatt gemacht. Die Spieler mußten versuchen, den Knicker beim ersten Wurf möglichst dicht an das Loch heranzubringen. Die letzte, noch verbleibende Strecke, mußte dadurch überwunden werden, dass der Knicker mit den Fingern "geknippst" wurde, man nannte dies auch "schrappen". Jeder Spieler hatte fünf Knicker, Es wurde vor dem Spiel festgelegt, wie oft jemand "knippsen" durfte. Wenn z. B, "einmaliges Knippsen" vereinbart war und der Spieler es nicht geschafft hatte, den Knikker ins Loch zu bringen, so mußt er aufhören, es war dann der nächste an der Reihe. Wem es als erstem gelang, alle fünf Knicker ins Loch zu bringen, der hatte gewonnen, das heißt, ihm gehörte der Inhalt des "Loches". Ähnlich waren die Regeln beim "Müer-Knickern" (Mauer- Knikkern). Hierbei wurde gegen eine Wand geknickert. Es kam dar auf an, dass der Knicker so nah wie möglich an der Hauswand liegen blieb.

Auch hier ging es darum, dass der Verlierer bestimmte Knicker oder eine bestimmte Anzahl von Knickern an den Gewinner abgeben mußte. das wurde natürlich vor Spielbeginn vereinbart.

"Schlagball" bzw. "Brennball"

Vier Töpfe oder Eimer wurden im Viereck aufgestellt, ein fünfter in der Mitte zwischen den zwei oberen. Hier stand auch der Spieler, in der Hand einen "PersilsStock" und einen Ball. In seiner Nähe stand der sogenannte "Tambourmajor". In einer gewissen Entfernung - ca. 15 bis 20 Meter - standen an einer bestimmten Linie die übrigen Spieler.

Der erste Spieler nahm mit der linken Hand den Ball und schlug ihn mit dem Persilstock (wie beim Tennis) bis hin zu den übrigen, hinter der Linie stehenden Spielern. Einer dieser Spieler warf den Ball zurück, den der Tambourmajor auffing. Dieser schlug ihn mit Kraft auf den vor ihm stehenden umgestülpten Eimer oder Topf ; ehe der Ball wieder auf der Erde auftrat, mußte der Läufer in einer bestimmten Reihenfolge an einem Topf stehen. Bekannt war das Spiel noch bis Mitte der fünfziger Jahre.

"Knallbüssen" und "Splenterbüssen"

Hierfür benötigt man die zweijährigen Zweige ("Striepen") des Holunderholzes, wobei das Mark herausgeschoben wurde, so dass das 20 bis 30 Zentimeter lange Holunderstück ganz hohl war. Mit einem Propfen aus Flachs wurde die eine Seite verstopft, dazu wurde ein zweiter Propfen, aus Flachs oder auch Papier, in das Röhrchen hineingeschoben. Dann nahm man ein etwa gleich langes, dünnes, aber hartes Holz, das genau hineinpaßte. Durch das Hineinschieben in den Holunderstock wurde der erste Pfropfen herausgestoßen, so dass der zweite nun an die Stelle des ersten kam. Sodann nahm man einen dritten Flachspfropfen und schoß den zweiten heraus. Da dies ziemlich laut knallte, nannte man diese "Büssen" (Büchsen) auch "Knallbüssen". - Bei der "Splenterbüssen" wurde vorn nur ein winziges Loch gelassen, durch das nach dem Pumpenprinzip Wasser in das Röhrchen gesaugt und dann mit Druck wieder herausgespritzt wurde.

Das Herstellen von "Knallbüssen" und "Splenterbüssen" erforderte von den Jungen schon ein wenig Geschicklichkeit - seit Anfang der fünfziger Jahre gibt es diese "Büssen" nicht mehr.

"Hinkeln"

Ein beliebtes Spiel (zum Teil heute noch), besonders bei Mädchen, war das sogenannte "Hinkeln", und zwar in verschiedenen Variationen. Meistens wurden z. B. in Kreuzform sechs Vierecke mit einem Stock in den Sand gezogen, wobei das oberste Viereck innen noch einen Kreis bekam. Auf einem Fuß stehend mußte das Mädchen den flachen Stein von einem Kasten in den anderen stoßen (er durfte nicht auf einer gezogenen Linie liegen bleiben) und zum Schluß genau in den Kreis.

"Fletschen"

Bei den Jungen waren die "Fletschen" (= Schleudern) sehr bekannt und beliebt. Die Herstellung war ganz einfach: Es wurde ein ca. 15 Zentimeter langer Gabelzweig genommen, dazu ein in der Mitte durchgeschnittener Einkochring, der mit kleinen Nägeln oder auch einfach mit Bindfäden oben an den Gabelenden befestigt wurde. Es wurde mit allen geeignetem Material, z. B. Steinchen, Erbsen, Bohnen, usw. geschossen. Die "FletscheĢ gehörte zum Standard-Inhalt der Hosentasche eines Jungen.

Ein Taschenmesser mit sich zu führen, war für einen Jungen ebenfalls selbstverständlich; es war ein nützliches Werkzeug, für vielfältige Zwecke verwendbar. Z. B. machten sich die Jungen im Frühjahr von Weiden- oder Ebereschen-Stöcken "Flietpiepen" (= Flötpfeifen).

"Isdöppken" und "Pietschendopp"

Sehr beliebt bei Jungen war auch das Spiel mit den "Isdöppken" oder dem "Pietschendopp"; diese konnten in Geschäften gekauft werden, wurden also nicht selbst hergestellt. Es gab sie in verschiedenen Größen zwischen fünf und zehn Zentimetern als gedrechselte Pyramide aus hartem Holz und unten mit einer Metallspitze. In die vorgegebenen Rillen wurde ein Kordelband straff gewickelt, dieses mit einer Schlaufe endende Band in der Hand (am besten am Daumen der rechten Hand) festgehalten, während das "Döppken" mit der Spitze nach unten auf möglichst festem Boden (Steinplatten o. ä., im Winter auf Eis = "ls") geworfen wurde. Dabei wickelte sich das Band ab und das Döppken rotierte dann sehr schnell. Wenn zwei oder mehr Jungen zugleich das Döppken warfen, kam es darauf an, wessen Döppken am längsten lief.

Beim "Pietschendopp" ("Pietsche" = Peitsche) handelte es sich um einen Kreisel, einen sich nach unten verjüngenden Elipsoiden, ebenfalls aus Holz, ähnlich wie das "Isdöppken". Er wurde auch auf einen harten Untergrund geworfen und dann mit der Peitsche (daher die Bezeichnung "Pietschendopp") in Beweg gehalten. Die Peitsche war selbstgefertigt (einfacher Stock mit Bindfaden). (andere Bezeichnung = "Knappsettpnnken").

Zu den Spielen. die draußen stattfanden, gehörten auch das Verstecken-Spielen ("Verstoppen"), Räuber und Gendarm ("Schandarm") u.a. Im Hause gab es bei schlechtem Wetter oder im Winter einfache Baukasten, den Hampelmann, das Schaukelpferd, den Pferdewagen u.a.





Heinz Rüschenschmidt



(Aus dem Jahrbuch 1988 vom Kreis Coesfeld)