Brauchtum zur Adventszeit (I)

Von St. Martin bis zum Nikolaus

Wer sich mit Weihnachtsbrauchtum befassen will, muß die Festtagsbräuche des ganzen Weihnachtsfestkreises sehen, also vom Anfang des Advent bis Mariä Lichtmeß. Es ist die lange,dunkle Zeit die Zeit der Arbeitsruhe im alten bäuerlichen Bereich, wo die Bräuche fast alle entstanden sind. Es ist aber auch die Zeit um "Middwinter", den kürzesten Tag, wo es allmählich Schritt für Schritt wieder heller wird. Die Tage rängen sich, "Heilige drei Könige einen Hahnenschritt und Lichtmeß 'ne Stunde", wie das Sprichwort heißt. Es ist die dunkle Zeit der Dämonen, aber auch die Zeit der Hoffnung, des wiedererwachenden Lichtes und Lebens, die Zeit der Geburt Christi des Erlösers. Im gesamten übrigen Jahr gibt es nicht so viele Festbräuche wie in dieser Zeit, und zwar kirchlich-religiöse und weltliche, die wiederum ursprünglich aus religiösem Bereich stammen. In einem ersten Teil werden hier die Bräuche bis zum Nikolaustag dargestellt

Advent

Advent war immer eine Zeit der Einkehr und Buße vor dem kirchlichen Hochfest Weihnachten, wie es die Fastenzeit vor Ostern ist. Es war aber auch eine "stille", eine "geschlossene Zeit, in der öffentliche Festlichkeiten, Hochzeiten, Verlobungen, Theateraufführungen nicht stattfanden. Jeder nahm sich in der Adventszeit vor, auf bestimmte Genüsse zu verzichten und Enthaltsamkeit zu üben im Essen und Trinken. Ziel dabei war, das Denken der Menschen vom Materiellen fort auf das Geistige, Transzendentale hinzuführen und seelisch auf das kirchliche Hochfest Weihnachten vorzubereiten.

Sankt Martin

Sankt Martin ist einer der volkstümlichen Heiligen, der immer mit dem Bettler dargestellt wird, mit dem er seinen Mantel teilt. Er war einer der ersten großen Mönchsgestalten nördlich der Alpen, Schutzheiliger der Franken und des Merowinger Königshauses. Aus seiner Verehrung haben sich zahlreiche Volksbräuche entwickelt, die in den einzelnen Ortschaften Westfalens sehr unterschiedlich gehalten werden. Lichterprozessionen, Martinsfackelzüge der Kinder sind seltener geworden. Da Martini der letzte Festtag vor der Adventszeit ist, wurde die Martinsgans gegessen (wie Fastelaowend, Dickbuksaowend Fullbuksaowend). Die Legende sagt, Sankt Martin soll sich in einem Gänsestall verkrochen haben, als man ihn zum Bischof von Tours machen wollte, jedoch ohne Erfolg, weil die Gänse ihn durch ihr Geschrei verraten hätten.

Das Heischerecht der Kinder auf Marlini ist noch geblieben, d. h. das Recht der Kinder, von Nachbarn und Paten einen Anteil an den Festtagsspeisen, dann auch Süßigkeiten und Früchte zu verlangen. Die neuere Form ist die, daß Sankt Martin vielfach als Bischof verkleidet zu Pferd kommt und die Kinder beschenkt, nicht ohne sie vorher zu belehren und zu ermahnen.

Im Nordwesten des Münsterlandes wurden noch bis zum 2. Weltkrieg (vielleicht heute noch) von der Jugend des Dorfes oder der Bauerschaft Martinsfeuer abgebrannt.

Martini ist das Ende des Erntejahres. Da mußte der Pachtzins bezahlt werden. Der Bauer mußte seinen Dienstboten den Jahreslohn zahlen. Zinsen waren zu begleichen.

"Martin ist ein herber Mann für den. der nicht bezahlen kann!".

Adventsblasen

Am 1. Adventssonntag bei beginnender Dämmerung holten die jungen Männer besonders im Münsterland ihr Middwinterhorn (Dwerthorn). Es hatte die Form einer schlanken hohen Butterkirne und verbreiterte sich vom Mundstück nach unten stark. Sie legten das schwere Horn auf einen Zaun oder Strauch und begannen zu tuten und zu blasen, - jeden Abend. Auf dem Wege zur "Ucht", der Frühmesse (4 Uhr morgens), am Weihnachtstag war der Höhepunkt des Adventsblasens mit dem Middwinterhorn. Diese Form des Adventsbrauches ist wohl um die Jahrhundertwende ganz verschwunden. Geblieben ist in vielen Orten die Gestaltung der Weihnachtsmesse (Ucht) durch Blasmusik statt Orgel.

Die vielfältigen Formen der Geräuschentwicklung bei den Bräuchen in der dunklen Zeit haben ihren Grund in der Absicht, die bösen Geister zu vertreiben und sich von der Angst vor ihnen zu befreien.

Andreastag

Der Andreastag (30.11.) steht an der Schwelle des Kirchenjahres, denn der Sonntag nach dem 26.11. ist 1. Adventssonntag. Wie bei jedem Anfang stellt sich am Andreastag die Frage nach der Zukunft. Der Völksbrauch kennt daher allerlei Formen der Zukunftserforschung und r Liebesorakel. In unserer Gegend hat sich davon nur das"Bleigießen" erhalten, das in der Silvesternacht betrieben wird. In einem Löffel wird Blei über einer Flamme oder Glut flüssig gemacht und dann in kaltes Wasser gegossen. Aus den sich ergebenden Figuren kann man dann (angeblich) die Zukunft lesen (manche können das auch aus dem Kaffeesatz).

Die Wetterpropheten sehen das so:

Schau in der Andreasnacht

Was für'n Gesicht das Wetter macht:

So wie es ausschaut, glaub's fürwahr, bringt's gutes oder schlechtes Jahr.

Oder -

Andreas hell und klar

deutet auf ein gutes Jahr.

Rorate oder Engelamt

Einige Gemeinden des Bistums Münster besinnen sich wieder auf den alten Brauch, im Advent am Werktag eine Frühmesse zu halten, und zwar um 5 Uhr oder etwas später. "Rorate coeli ... Tauel Himmel den Gerechten!' Man nannte dieses Rorate-Hochamt auch das Engelamt, weil die Botschaft des Engels an Maria im Mittelpunkt stand.

Die Messe war sehr beliebt - und ist es in vielen Teilen Süddeutschlands heute noch. Heinrich Waggerl berichtet in seiner urwüchsigen, feinsinnigen Art über die Rorate-Messe in seiner Heimat Tirol.

In Ascheberg wurde sie vor einigen Jahren unter der Bezeichnung "Frühschicht für Gott` an jedem Mittwoch im Advent 5.45 Uhr wieder eingeführt und auch heute noch gehalten, wenn auch in anderer Form.

Adventskranz

Der noch junge Brauch hat seinen Ursprung im evangelischen Betsaal des "Rauhen Hauses" in Hamburg, wo Johann Heinrich Wichern, der Begründer der Inneren Mission, 1860 zum erstenmal einen Adventskronleuchter aufgehängt hat, an dem so viele Kerzen angezündet wurden, wie Adventstage vergangen waren, - insgesamt 28. Die Zahl der Kerzen wurde bald auf vier reduziert, entsprechend den vier Adventssonntagen, und aus dem Kronleuchter wurde ein Kranz von Tannengrün. In Bethel ist er 1890 nachgewiesen. Er gelangte über die evangelischen Kirchen und Familien schließlich nach dem 1. Weltkrieg auch in katholische Bereiche, wo er zuvor als"lutherischer Brauch" abgelehnt wurde. Die schnelle und starke Verbreitung dieses schönen Brauches seit etwa 1930 hat weitgehend kommerzielle Gründe.

Das Anzünden der Kerzen des Adventskranzes wird aber auch heute noch in den Familien vielfach zum Anlaß genommen, sich auf das Fest des Lichtes vorzubereiten.

Barbarazweige

Am Sankt-Barbara-Tag, dem 4. Dezember, werden Zweige geschnitten, früher hauptsächlich von Kirschen, heute mehr von Goldglöckchen (Forsythien). Wenn man die Zweige ins Wasser und ins warme Zimmer stellt, treiben sie aus und blühen Weihnachten. Sartori meint, dies sei "nicht bloß eine Erinnerung an das Reis, das,aus der Wurzel zart'entsprungen ist, sondern eine Form der Lebensrute, in der die Triebkraft der Natur bis in die Zeit des neuen Frühlingwerdens hinübergerettet wird!' Je nachdem die Zweige mehr oder weniger schön aufblühen, knüpfen manche daran entsprechende (abergläubische) Glückshoffnungen für das kommende Jahr.

Nikolaus

Sankt Nikolaus (6. Dezember) ist der große Kinderfreund. Die Verehrung des heiligen Nikolaus als Apostel der Caritas kam bereits um das Jahr 1000 zu uns. Seitdem ist er der große gütige Gabenbringerfürdie Kinder, obgleichdas Nikolausbrauchtum im Laufe der Jahrhunderte starke Wandlungen erfahren hat. In der Nacht vom 5. zum 6. Dezember kam der heilige Nikolaus auf einem Schimmel vom Himmel geritten, um die Kinder zu beschenken. Die Kinder stellten abends einen Teller (stellenweise auch einen Schuh oder Holzschuh) auf. Ein Stück Schwarzbrot oder anderes Futter für den Schimmel legten sie hinzu. Geschenke waren bis zum 2. Weltkrieg in der Regel warme Bekleidung (Handschuhe, Strümpfe usw.), Äpfel, Nüsse und einige Süßigkeiten.

Natürlich gehört zum Nikolausbesuch immer ein erzieherischer Effekl. Die Kinder mußten artig sein, und dies wurde wochenlang vorher geübt, damit der Nikolaus nicht nur eine Rute brächte. Zur Kontrolle der "guten Taten" hatten die Kinder je ein Klausenhölzchen, ein vierkantiges Holzstäbchen, in das sie für ihre Gebete und guten Werke jeweils eine Kerbe einschnitten. Wer hier im guten Sinne"viel auf dem Kerbholz" hatte, bekam die meisten Gaben. Bei uns in Westfalen gibt es die Klausenhölzchen schon lange nicht mehr.

Luther schaffte ca. 1535 den Nikolaus als Gabenbringer ab. Statt dessen kommt "der heilige Christ". Es ist die Geburtsstunde des Christkindbrauchtums und der Weihnachtsbescherung. Jedoch blieben beide Bräuche bis heute bestehen. Sie sind aber so vielgestaltig geworden, daß man eine Norm dafür kaum finden kann.

Wo der Nikolaus nicht unsichtbar in der Nacht kam und die Gaben auf den Teller legte, kam der Gabenbringer persönlich als Bischof gekleidet mit einem langen Bart, begleitet von seinem Knecht Ruprecht der den Sack und die Gaben trug, in die Familie. Die Kinder hatten zu beten und zu singen. Lohn und Strafe folgten unmittelbar, denn in dem großen Buch standen ja alle guten und bösen Taten. Dieser für die Kinder eindrucksvolle Brauch ist meist von den Eltern gesteuert. Sie suchen sich den geeigneten Nikolausdarsteller und sorgen für die richtigen Gaben und die maßvollen Strafen.

Im Gegensatz dazu steht das wilde Nikolaustreiben, bei dem Scharen von verkleideten Jugendlichen unaufgefordert die Häuser betreten und nach Gutdünken Lob und Tadel erteilen. Hier mischt sich der Nikolausbrauch mit den zahlreichen Bräuchen der Dämonenvertreibung, wozu das Verkleiden, Schlagen, Klopfen und Kettenrasseln gehörte, Bräuche, wie sie in der dunklen Zeit um Middwinter (Klopferstage und Bosselnächte) gehalten wurden und im gesamten Alpenraum noch heute üblich sind. In manchen Städten und Gemeinden wird ein öffentliches Nikolausfest veranstaltet und ein Betrag steht dafür im Haushaltsplan. In einem feierlichen Zug kommt der Nikolaus zu Pferd auf den Kirch- oder Marktplatz, wobei dann die Ansprache und die Gabenverteilung an die Kinder Höhepunkt der Feier sind, wie dies in Billerbeck der Fall ist. In Ascheberg kam der Nikolaus im Auftrage der Kolpingfamilie auf einem Unimog, dem Fahrzeug der Feuerwehr.

Der Ursprung war das Verteilen von Gaben an die arme darbende Bevölkerung (Nikolaus als Apostel der Caritas). Das erzieherische Moment, das jahrhundertelang sehr stark gepflegt wurde, tritt heute mehr und mehr zurück; der Nikolaus kommt als freigebiger Gabenbringer für die Kinder.



Bernhard Rothers



(Aus dem Jahrbuch 1986 des Kreises Coesfeld)











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